Talya Feldman ist eine Medienkünstlerin aus Denver, Colorado. Sie erwarb einen Bachelor of Fine Arts am School of the Art Institute of Chicago und ist derzeit Doktorandin an der Hochschule für bildende Künste hier in Hamburg. Sie hat in Chicago, New York, Hamburg, Halle (Saale), Frankfurt und Berlin ausgestellt. Talya Feldman wurde 2021 mit dem DAGESH-Kunstpreis für ihre Klanginstallation „The Violence We Have Witnessed Carries a Weight on Our Hearts“ im Jüdischen Museum in Berlin ausgezeichnet und hat für ihre Projekte gegen rechten Terror in Zusammenarbeit mit aktivistischen und forschungsbasierten Netzwerken weltweite Anerkennung erhalten.
Anne: Was bedeutet Aktivismus für dich?
Talya: Ich nähere mich dem Aktivismus durch meine Arbeit als Künstlerin. Ich glaube daran, den schädlichen Erzählungen und Bildern, die wir so oft im Zusammenhang mit Gewalt sehen, etwas entgegenzusetzen, indem ich alternative Erzählungen anbiete, vor allem Erzählungen von Stärke und Widerstand. Natürlich negiere ich nicht die Geschichte und den Schmerz, den so viele von uns als von Rassismus und Antisemitismus betroffene Menschen empfinden. Aber wir konzentrieren uns meist auf die Stärke und die Kraft innerhalb unserer Gemeinschaften: sich zu wehren und die Gesellschaft zu verändern. Für mich ist es sehr wichtig, dass wir uns darauf konzentrieren, in der wir die Art und Weise ändern können, wie wir über Gewalt sprechen. Wie wir über das Gedenken und über einander sprechen.
Ich glaube daran, den schädlichen Erzählungen und Bildern, die wir so oft im Zusammenhang mit Gewalt sehen, etwas entgegenzusetzen, indem ich alternative Erzählungen anbiete, vor allem Erzählungen von Stärke und Widerstand.
Denkst du, dass es in Hamburg mehr Aktivismus gibt als in anderen Städten, oder spürst du eine andere Art von Aktivismus in Hamburg?
Ich denke, dass es in Hamburg eine Reihe von Initiativen gibt, die sich gegen rechte Narrative wehren und die für das Gedenken an ihre Familien kämpfen, die selbst Opfer von rechtem Terror und Rassismus durch Polizei und Gesellschaft geworden sind. Und das sehe ich in Hamburg mehr als in anderen Städten. Ich sehe, dass es hier eine Reihe von Initiativen gibt, die hier schon lange kämpfen und sich auf der Straße, in den Schulen und in allen Bereichen des Hamburger Stadtlebens für Gerechtigkeit und für Aufklärung, Veränderung und Erinnerung einsetzen. Das finde ich sehr ermutigend.
Kannst du ein paar dieser Initiativen nennen?
Die Semra Ertan-Initiative zum Beispiel gibt es schon sehr lange. Sie kämpft für die Anerkennung von Semra Ertan, ihrer Gedichte und für die Umbenennung einer Straße nach ihr (mehr dazu auf Seite 17). Auch die Yaya Jabbi-Initiative. Sie kämpft ebenfalls seit Langem für die Erinnerung und die Anerkennung der Polizeigewalt gegen Yaya Jabbi sowie BPOC im Allgemeinen. Darüber hinaus habe ich eine Reihe von anderen Initiativen kennengelernt - oder zumindest von ihnen gehört. Initiativen für Ramazan Avcı, für Achidi John, für Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân, und Süleyman Taşköprü.
Es gibt so viele Menschen, die in Hamburg aufgrund von Rassismus in den letzten zehn Jahren getötet wurden und deren Mord nicht als solcher anerkannt wird. Ihre Namen und wer sie waren, sind so wichtig für uns und für Hamburg, dass wir uns an sie erinnern müssen. Einige dieser Initiativen, die ich gerade erwähnt habe, kämpfen und sprechen seit über 30 Jahren in Hamburg für Gedenken und Gerechtigkeit. Es ist wichtig, dass wir erkennen, dass, nur weil wir sie vorher nicht gehört haben, das nicht bedeutet, dass sie nicht schon die ganze Zeit hier waren und gesprochen haben. Es ist immer Zeit für uns, aber vor allem jetzt - es ist Zeit zuzuhören.
Was treibt dich in deiner Arbeit als Aktivistin, oder in Verbindung damit, in deiner Arbeit als Künstlerin, an?
Ich nutze die Mittel, die mir als Künstlerin zur Verfügung stehen, um aktiv zu sein, um den Bildern von Gewalt in unserer Gesellschaft, Bilder des Widerstands und der Resilienz entgegenzusetzen, um meine Gemeinschaft und viele andere zu unterstützen. Wenn ich gefragt werde, was mich in meiner Arbeit antreibt, denke ich oft an Douglas Crimp, einen Aktivisten während der AIDS-Krise in den Vereinigten Staaten. Er ist ein sehr einflussreicher Autor und erzählte in einem Interview über Erfahrungen in der AIDS-Aktivistengruppe Act Up, der er in den 90er-Jahren angehörte. Er zeigt, wie wichtig es war, die schädlichen Erzählungen über LGBTQ-Personen zu bekämpfen, indem sie ihre eigenen visuellen Informationen schufen - um Leben zu retten.
Wenn man die Dringlichkeit einer solchen Aussage versteht, dann weiß man, dass man etwas tun muss. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft diese Dringlichkeit spüren und es nicht nur bestimmten Gemeinschaften überlassen, die stärker von rechtsextremer Gewalt betroffen sind. Wir müssen hart arbeiten, um zu verstehen, dass wir alle von dieser Gewalt betroffen sind und dass wir alle die Verantwortung teilen, die dringende Verantwortung zu kämpfen, um Leben zu retten.
In deiner Arbeit beschäftigst du dich viel mit der Erinnerungskultur - was bedeutet sie für dich und wie lebst du sie?
Erinnerung ist nicht ein Akt der Vergangenheit. Erinnerung ist ein Akt der Gegenwart und der Zukunft. Sie ist nicht linear. Wir erinnern uns nicht nur, um über etwas nachzudenken, das vor 40, 50, 60 Jahren passiert ist. Wir erinnern uns, damit die Gewalt, die wir in der Vergangenheit miterlebt haben, jetzt nicht weitergeht. Denn die Gewalt geschieht wieder, und wir alle tragen die Verantwortung, uns zu erinnern, um zu handeln. Es ist ein sehr aktives Erinnern, das wir in unserer Gesellschaft tun müssen, um diese Gewalt zu beenden. Menschen erzählen mir oft, dass sie, als sie jünger waren und über den Holocaust lernten, es meist sehr langweilig fanden. Es ist erschreckend, so etwas zu hören.
Wenn wir nicht erkennen können, wie die Geschichte in die Gegenwart hinein wirkt, wie sie die Art und Weise beeinflusst, wie wir miteinander umgehen, wie die Systeme in unserer Gesellschaft weiterhin die Verbreitung von Hass und Bigotterie zulassen, wie Opfern von Gewalt immer noch die Schuld für das gegeben wird, was ihnen widerfahren ist, dann unterrichten wir die Vergangenheit vielleicht nicht richtig. So viele Überlebende und Opfer des Terrors werden in den Hintergrund ihrer eigenen Geschichte gedrängt. Ihnen wird nicht geglaubt und sie werden nicht gehört. Man sagt ihnen, dass sie schwach sind. Dabei steckt so viel Kraft und Stärke in uns als Menschen, in den Menschen, die diese Gewalttaten erleben.
Wir sind mehr als das, was uns widerfährt. Das sind die Narrative, die wir in unserer Gesellschaft ändern müssen. Dass die Vergangenheit die Gegenwart ist und die Zukunft. Dass diese Gewalt fortgesetzt wird, wir aber daran glauben, sie zu beenden. Dass Menschen und Gemeinschaften, die Gewalt erleben, unglaublich stark sind und dass man ihnen zuhören sollte.
Hast du eine Art Anleitung, wie man mit der Erinnerungskultur umgehen soll?
Ich denke, das Wichtigste ist es, zuzuhören, vor allem den Stimmen von Menschen, die von rechter und extremistischer Gewalt betroffen sind - und zu erkennen, dass wir alle in unserer Gesellschaft eine Rolle dabei spielen, diese Gewalt zu beenden. Wir müssen erkennen, welchen Einfluss wir aufeinander haben, insbesondere in der Sprache, die wir verwenden, und in den Bildern, die wir teilen. Wenn ein Anschlag verübt wird, werden in den Nachrichten und in den sozialen Medien oft Täter und sensationslüsterne Bilder von Gewalt hochgespielt. Es ist dringend erforderlich, dass wir uns stattdessen auf die Opfer und ihre Familien konzentrieren und Räume der Ermächtigung schaffen, die diese Gewaltkreisläufe nicht noch verstärken. Wir sollten uns die Zeit nehmen, die Überlebenden und die Familien der Opfer zu fragen, was sie brauchen, und nicht davon ausgehen, dass wir wissen, was das Beste für sie ist. Es ist auch gut, innezuhalten und darüber nachzudenken, dass Widerstand und Solidarität nicht immer bedeuten, dass man auf die Straße geht und protestiert. Widerstand bedeutet auch, dass wir jemandem zuhören, der von Rassismus in unserer Klasse betroffen ist. Es geht darum, Beziehungen aufzubauen und für die Menschen um uns herum so da zu sein, wie sie es brauchen. Es gibt so viele Möglichkeiten, wie wir Veränderungen bewirken können. Wenn wir über Antirassismusarbeit oder den Kampf gegen Antisemitismus sprechen, geht es auch darum, schwierige Gespräche mit unseren Familien zu führen, ins Zwiegespräch mit uns selbst gehen und viele der gängigen Stereotypen zu hinterfragen, mit denen wir in unserer Gesellschaft aufgewachsen sind. Das ist harte Arbeit, aber es ist Arbeit, die sich für uns alle lohnt.
Und es ist so viel einfacher, wenn man Verbündete (Allys) hat, nicht wahr? Aber wie schafft man es, sich mit anderen für eine Sache zu verbünden - wie kann man eine Gruppe finden?
Um Sara Ahmed zu zitieren: Ich denke, es ist wichtig zu erkennen, dass man, wenn man sagt, dass man mit einer anderen Person solidarisch ist, damit nicht sagt, dass man die gleichen Erfahrungen teilt, dass man ihren Schmerz und ihre Kämpfe versteht oder dass man sogar die gleichen Ziele oder Träume hat. Es bedeutet, dass man eine gemeinsame Haltung hat. Die Haltung, dass wir einander in diesem Kampf um die Rettung von Menschenleben brauchen, dass wir es nicht allein schaffen können. Die Haltung, dass wir hier sind, dass wir hier bleiben, dass wir vorwärtsgehen, dass wir für eine bessere Zukunft für uns alle kämpfen.
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