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AutorenbildJona Kirchen

Ich hätte gerne die Person wieder, die sie vor zwei Jahren war

Jonte* spricht mit seinen Eltern nur noch selten über die Pandemie. Immer wieder gerät er mit ihnen in lautstarke Diskussionen, versucht sie durch Argumente und Fakten zu überzeugen. Doch seine Mutter blockt ab, leugnet das Virus und behauptet, dass „die da oben“ an allem schuld seien. „Aufgrund ihres Leugnens haben wir keine richtigen Diskussionen mehr und reden jetzt gar nicht mehr über politische Themen,“ so Jonte.


Amelie* hat den Kontakt zu ihrer Verwandtschaft ganz abgebrochen. Seit sie sich impfen ließ, konfrontierten ihre Cousinen sie mit Verschwörungserzählungen rund um Bill Gates und vermeintlich unwirksame Impfungen: „Wann immer man miteinander gesprochen hat, wurde man persönlich angegriffen. Deshalb meide ich mittlerweile den Kontakt zu allen, weil mich die ganzen Verschwörungstheorien und das Gerede wirklich zum Durchdrehen bringen und ich sie kaum mehr ertragen kann.“

So wie Jonte und Amelie geht es vielen jungen Hamburger*innen. Wenn Eltern oder Freund*innen an Verschwörungserzählungen glauben, stellt sich für sie schnell die Frage: Woher kommt dieser Verschwörungsglaube eigentlich?


Verschwörungen sind kein neues Phänomen: Schon seit mehreren Jahrhunderten glauben Menschen an Verschwörungsmythen, die Unerklärliches erklären sollen. Gerade in Krisenzeiten liefern Verschwörungserzählungen einfache Lösungen, indem sie komplizierte Sachverhalte verkürzen und die Welt in Gut und Böse unterteilen. Dabei stützen sich viele dieser Erzählungen auf zwei realitätsferne Behauptungen:


Nichts geschieht durch reinen Zufall: Hinter allen Handlungen steckt eine Gruppe von Verschwörer*innen, die Ereignisse manipuliert und Schaden anrichten will.

Nichts ist, wie es scheint: Alle Ereignisse sind Teil eines geheimen Plans, der aufgedeckt werden muss. Alles ist miteinander verbunden: Es gibt keine unabhängigen Institutionen.


Verschwörungsgläubige sehen Medien, Politik oder Wissenschaft als Feinde. Zufälle oder ungeplante Handlungen existieren für verschwörungsgläubige Menschen also nicht. Aus zusammenhanglosen Ereignissen entwickeln sich vermeintliche „Beweise“, die seriösen wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen. Deshalb können Angehörige nur selten zu ihnen durchdringen: Verschwörungserzählungen sind immun gegen jede Kritik und lassen sich nicht mit Faktenwissen oder sachlichen Argumenten widerlegen. Alles, was gegen ihr Weltbild spricht, wurde aus ihrer Sicht womöglich gefälscht und ist daher eher ein Beweis dafür, dass sie recht haben.

Das Internet und die fortschreitende Digitalisierung haben Verschwörungserzählungen sichtbarer gemacht: Messenger-Dienste vereinfachen Anhänger*innen die Vernetzung untereinander und ermöglichen eine schnelle Verbreitung von Desinformation. Falschnachrichten können genutzt werden, um die Erzählung aufrecht zu erhalten und das eigene Weltbild zu untermauern. Überprüft man jedoch die Verfasser*innen, die Sprache und den Ort der Veröffentlichung solcher Nachrichten, lassen sich verschwörerische Nachrichten schnell als unseriöse „Fake News“ entlarven.


Wie sollten Betroffene mit verschwörungsgläubigen Menschen umgehen? Das Gespräch mit verschwörungsgläubigen Familienmitgliedern fällt oft besonders schwer.


„Ich hätte gerne die Person wieder, die sie vor zwei Jahren war“, teilt mir Jonte ernüchtert mit. „Manchmal habe ich auch keine Kraft, um zu diskutieren.

Dann sage ich meistens, dass es nichts nützt und wir es lieber lassen sollten, da es sonst wieder im Streit endet.“


Dennoch ist es wichtig, den Kontakt auch dann aufrecht zu erhalten, wenn eine sachliche Diskussion nicht mehr möglich ist, erklärt mir Marius von der Hamburger Beratungsstelle Kurswechsel: „Damit die Menschen nicht alleine sind und Ansprechpartner*innen haben. Wir sprechen davon, Irritationsmomente zu setzen, also Widersprüche in diesen Verschwörungserzählungen aufzudecken. Wir raten dazu, zu schauen: Was finden die Menschen in diesen Verschwörungserzählungen?“ In solchen Irritationsmomenten können Angehörige dann alternative Erklärungen anbieten, ohne der verschwörungsgläubigen Person einen direkten Vorwurf zu machen.


Für ein erfolgreiches Gespräch mit verschwörungsgläubigen Familienmitgliedern braucht es viel Zeit und Geduld. Schließlich dauert es lange, ein Weltbild voller Verschwörungen hinter sich zu lassen. Für ein anstehendes Treffen sollte man sich deshalb realistische Ziele setzen und keine Angst davor haben, im Gespräch mit Verschwörungsgläubigen etwas Falsches zu sagen. Dennoch sollten sich Angehörige Gedanken über inhaltliche Grenzen machen und klar Position gegen antisemitische, rassistische oder andere menschenverachtende Äußerungen beziehen.


Die Suche nach Unterstützung durch andere Familienmitglieder oder Freund*innen und eine gemeinsame Strategie können sich ebenfalls als hilfreich erweisen. Trotzdem betont Marius: „Ich finde es immer sehr wichtig, dass die Angehörigen auch an sich selbst denken. Das kann ziemlich aufreibend sein und einen unglaublich belasten.“


Und wenn man nicht mehr weiter weiß und alle Gesprächsversuche scheitern? Dann sollten sich Angehörige gerne an Beratungsstellen wenden, rät Marius von Kurswechsel. Gerade im Austausch mit professionellen Hilfsangeboten könne man viele Hilfestellungen bekommen, die über die allgemeinen Tipps im Umgang mit Verschwörungsgläubigen hinausgehen.


* Namen der Betroffenen wurden geändert.

Illustrationen: Mai Hoang


Good to know

Warum wir nicht von „Verschwörungstheorien“ sprechen

Eine Theorie besteht aus einem System wissenschaftlich begründeter Aussagen, die immer wieder an der Wirklichkeit getestet werden. Kann eine Theorie widerlegt werden, muss sie entweder angepasst oder verworfen werden. Sogenannte „Verschwörungstheorien“ sind allerdings nie wissenschaftlich begründet und werden trotz vieler Gegenbeweise weiterverbreitet. Vermehr werden deshalb alternative Begriffe wie Verschwörungserzählung verwendet.


Wie sich die Begriffe Verschwörungsmythen, Verschwörungserzählungen und Verschwörungsideologien unterscheiden und wann welcher Begriff der richtige ist, könnt ihr in diesem Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) nachlesen!


Tipps im Umgang mit Verschwörungserzählungen, jede Menge Infomaterialien und eine Liste der Hamburger Beratungsangebote findet ihr auf der Seite von Gegenverschwörung Hamburg: gegenverschwoerung.hamburg


Weitere Beratungsangebote in Hamburg

Kurswechsel – Ausstiegsarbeit Rechts bietet Betroffenen aus Hamburg vertrauliche und kostenfreie Hilfe, auf Wunsch auch anonym. Telefonisch, per Mail und Messenger oder persönlich vor Ort: kurswechsel-hamburg.de


Mobiles Beratungsteam Hamburg - berät und unterstützt Angehörige verschwörungsgläubiger Menschen und bietet die Möglichkeit zur Teilnahme an einem moderierten Austauschraum mit anderen Zu- und Angehörigen: hamburg.arbeitundleben.de/mbt


Amira unterstützt Betroffene von Diskriminierung und bietet rechtlichen Beistand in Kooperation mit Rechtsanwälten: adb-hamburg.de

Quellen



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