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Die Schattenseite des Szeneviertels: Aufbruch oder Ausgrenzung?

Das Schanzenviertel in Hamburg ist gespickt mit Cafés, Restaurants, Bars, Kneipen und Läden. Für viele Hamburger:innen ist es der Treffpunkt schlechthin und auch Tourist:innen statten dem Viertel meist mit Freuden einen Besuch ab. Man fühlt sich wohl, die Stimmung ist locker, man trifft Freund:innen oder geht zusammen feiern. Aber da gibt es ein Problem in der Schanze …


Gentrifizierung. Ein kompliziertes Wort, dessen Prägung wir in erster Linie Ruth Glass zu verdanken haben. Die Britin beobachtete in den 1960er Jahren folgendes Phänomen im Londoner Stadtteil Islington: In das Arbeiter:innenviertel zogen immer mehr Angehörige der Mittelschicht. Hierdurch wurden die Gebäude saniert, renoviert und dementsprechend auch teurer. So fand eine Verdrängung der Arbeiter:innen aus dem Stadtteil statt, denn diese konnten sich das Wohnen dort nicht mehr leisten. (1) Rein etymologisch leitet Glass die Bezeichnung „gentrification“ von dem englischen Wort „gentry“ ab, was so viel wie „niederer Adel“ bedeutet. Hierbei bezieht sie sich auf das 18. Jahrhundert, in welchem die Mittelschicht vermehrt in die Innenstädte zog und so einen Strukturwandel induzierte.


Schritt für Schritt

Aber wie kommt es zu einer Gentrifizierung eines Stadtteils? Ausgangspunkt für den Prozess ist meistens, dass viele Gebäude innerhalb eines Viertels leer stehen. Ursache hierfür ist die Vernachlässigung dieser Stadtteile und dementsprechend auch ihre mangelnde Attraktivität für Wohnungssuchende. Häufig werden dann Künstler:innen und Student:innen auf das Viertel aufmerksam. Aufgrund der preiswerten Mieten errichten sie dort Ateliers und beziehen Wohnungen. Der Strukturwandel vollzieht sich weiter, wenn durch die steigende Beliebtheit des Viertels Immobilienkonzerne und einkommensstärkere Haushalte Interesse daran entwickeln. Durch Sanierungen der Gebäude steigt die Nachfrage und somit auch der Preis. Dies führt aber auch zur Verdrängung der ursprünglichen Bevölkerung sowie der Künstler:innen und Arbeiter:innen, die für die erstmalige Aufwertung des Viertels verantwortlich waren. (2)


Was hat das mit Hamburg zu tun?

Das Schanzenviertel, welches durchaus als Szeneviertel bezeichnet werden kann, war lange Zeit ein Ort, an dem einkommensschwache Arbeiter:innen lebten. In den 1970er Jahren waren viele von ihnen bei großen Firmen wie Montblanc oder Hermann Laue beschäftigt. Aufgrund des Umzugs dieser Firmen in den 1980er Jahren zogen auch einige ihrer Mitarbeiter:innen weg. (3) Student:innen und Künstler:innen entdeckten den Stadtteil für sich. Ein prominenter und über die Stadtgrenzen hinaus bekannter Treffpunkt linker Gruppierungen stellte das „Flora Theater“ dar. Es kam zu einem Streit um jenes, welcher seinen Höhepunkt erreichte, als dieses 1989 durch sogenannte „Autonome“ besetzt wurde. Die Hausbesetzer:innen wollten verhindern, dass das Gebäude wieder in ein Musical-Theater umgewandelt wird. Hierdurch wurde die „Rote Flora“ zu einem Wahrzeichen linken Widerstands und das Viertel erhielt viel Aufmerksamkeit, was wiederum die Gentrifizierung vorantrieb. Das Schanzenviertel erfreute sich mehr und mehr Beliebtheit und somit begann die Verdrängung einkommensschwächerer Menschen. (4)


Ausgrenzung

Wohnungen wurden gekauft und modernisiert, wodurch die Miete anstieg bzw. statt Miet- Eigentumswohnungen geschaffen wurden. Hierdurch vollzog sich die Verdrängung von alteingesessenen Bewohner:innen und Läden. So musste zum Beispiel der Plattenladen „Zardoz Records“ 2018 seinen Platz am Schulterblatt aufgeben. (5) Auch die seit 1991 im Schanzenhof ansässige Drogenberatungsstelle „Palette“ hatte 2017 den Platz für ein Hostel räumen müssen. Und dass, obwohl sie die Mietsteigerung von 8,50 auf 14 Euro pro Quadratmeter hätte zahlen können. (6) Auch wenn sowohl „Zardoz Records“ als auch „Palette“ einen neuen Standort in der Schanze gefunden haben, zeigen diese Beispiele den Kampf, den Institutionen und Läden führen, um in ihrem Viertel zu bleiben. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass Gentrifizierung gravierende Folgen nach sich zieht. Durch die Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte findet sich für diese auch weniger Auswahl auf dem Wohnungsmarkt. Sie werden gezwungen, in zentrumsfernere Gebiete zu ziehen. Eine schlechtere Adresse, mangelhafte Infrastruktur und die fehlende Durchmischung der sozialen Herkunft führen dann zur Intensivierung der bestehenden Armut. Problematisch ist außerdem, dass Gentrifizierung oft erst dann thematisiert wird, wenn sie die Mittelschicht betrifft, diese also verdrängt wird. Dies nennt man Hypergentrifizierung. Allerdings sind die Folgen für die Menschen, welche sozial bereits benachteiligt sind, viel gravierender. Auch für den Staat ist diese Armutsspirale nachteilig, da dieser in letzter Konsequenz mehr Sozialleistungen zahlen muss. (1, 2)


Aufbruch

Mit Gentrifizierung geht aber auch Modernisierung einher. Endlich werden heruntergekommene Gebäude saniert, wodurch auch ökologische Komponenten beachtet werden können, und vorher übersehenen Stadtteilen wird Aufmerksamkeit geschenkt. Dass Viertel beliebter werden, bestärkt zuallerletzt auch den Tourismus. (7) Zudem führt der Wechsel zwischen einkommensschwacher und einkommensstarker Bevölkerung zunächst zur Durchmischung der sozialen Schichten, was vorteilhaft ist. Um diese veränderte Struktur zu erhalten, wäre allerdings vonnöten, dass der Staat eingreift, damit die Durchmischung der sozialen Schichten bestehen bleibt. Zudem müssten eine von allen genutzte Infrastruktur und vor allem qualitativ hochwertige Schulen geschaffen werden, damit es wirklich zu einem Miteinander kommt. (2)


Handlungspotentiale

Um Gentrifizierung zu nutzen oder zu verhindern, braucht es meist den Eingriff des Staates. Durch Mietgesetze, die den Menschen zugutekommen, die dort schon lange wohnen, kann der Wechsel von Menschen unterschiedlicher Lebensrealitäten vermieden werden. (8) Trotzdem kann eine Sanierung stattfinden. So wurde in den 1980er Jahren der Berliner Stadtteil Kreuzberg modernisiert, wobei nach einem langen Kampf zwischen Bevölkerung und Politik darauf achtgegeben wurde, die Bewohner:innen nicht zu verdrängen. (9) Naheliegend ist nun die Frage, was in Hamburg konkret getan wird und wurde, um den Schanzenbewohner:innen zu Hilfe zu kommen. Hier können der Staat und Initiativen aus der Bevölkerung eingreifen. Die „soziale Erhaltungsverordnung“ soll Bewohner:innen schützen. Wohnungen dürfen durch diese Verordnung nur mit Erlaubnis des Bezirks zu Eigentumswohnungen erklärt, abgerissen oder von Mietwohnungen in gewerblich genutzte Räume umgewandelt werden. Außerdem sollen Umbauten nicht missbraucht werden, um die Miete zu erhöhen. (10)


Gentrifizierung ist also ein akutes Problem, denn die Verdrängung alteingesessener Bewohner:innen und Institutionen gefährdet sowohl die soziale Gerechtigkeit als auch unser gesellschaftliches kulturelles Gut. Wird dies anerkannt, so ist es aber durchaus möglich, eine sinnvolle Lösung zu finden. Hier lässt sich wieder auf Berlin-Kreuzberg verweisen, wo statt Abriss oder Luxussanierungen schlussendlich Instandsetzungen der Häuser erfolgt sind. Aktuell ist die Lage in Kreuzberg leider nicht mehr so gentrifizierungsfrei, trotzdem gilt der Stadtteil mit seiner Historie als wichtiges Beispiel. Eine ausgewogene Priorisierung ist eben vonnöten: Sanierungen sind wichtig, funktionieren aber auch ohne, dass Mieter:innen und Geschäfte wegziehen müssen. Denn Gentrifizierung kann durch präventives Handeln verhindert werden!

 

Quellen:

(1, 7) Deutsches Institut für Urbanistik, 2011: Was ist eigentlich … Gentrifizierung?, online, difu.de [15.01.2024].

(2, 8, 10) Kronauer, M., 2018: Gentrifizierung: Ursachen, Formen und Folgen, online, bpb. de [15.01.2024].

(3) Krohn, P., 2018: Wann ist die Schanze gekippt?, online, faz.net [15.01.2024].

(4) Gall, I., 2023: Wie die Rote Flora gerade zur Gentrifizierung beitrug, online, abendblatt.de [15.01.2024].

(5) Hamburger Abendblatt, 2018: Ein neues Zuhause für den Kult-Laden, online, abendblatt.de [15.01.2024].

(6) Laufer, B., 2017: Neue Räume für die „Palette“, online, hinzundkunzt.de [15.01.2024].

(9) Das Haus, 2023: Gentrifizierung: Ein ernsthaftes Problem?, online, haus.de [15.01.2024].

(11) Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 2018: Maßnahmen gegen Gentrifizierung, online, lpb-bw.de [15.01.2024].

(12) Thilo Schmidt, 2019: Stadterneuerung per Hausbesetzung, online, deutschandfunkkultur.de [15.01.2024].

(13) Freie und Hansestadt Hamburg, 2023: Soziale Erhaltungsverordnungen in Hamburg, online, hamburg.de [15.01.2024].

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