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Die Schüssel*in

Aktualisiert: 16. Mai 2022

Throwback zu meinem Outing im letzten Sommer...

 

Ich kann mir gut vorstellen, dass sich einige angegriffen fühlen. Insbesondere von der Tonart, in der es rüberkommt. Das „Ich will gefragt werden.“ usw. wirkt böse, finde ich.


Claras* Nachricht ploppt auf meinem Sperrbildschirm auf und am liebsten würde ich das Handy vom Balkon werfen. Vor genau 26 Minuten habe ich mich geoutet. Im Internet. Auf Instagram. Dort, wo mir Kolleg*innen, Partner*innen, Künstler*innen, Schulfreund*innen und Unbekannte folgen. Mit einem Bild, auf dem ich in zwölf Kacheln aufgeteilt mit ernstem Blick in unserem Bad posierend in die Kamera starre. Clara hat mich nicht gefragt, warum mir das so wichtig ist oder warum ich dieses Bild gewählt habe und ich habe Clara nicht nach ihrer Meinung gefragt. Und trotzdem bekomme ich sie – serviert in einer Whats-App-Nachricht.


Ich denke, so bietest du den Leuten nur mehr Gründe, darüber zu reden und vermutlich auch, schlecht darüber zu reden.


Ja, ich hätte mein Coming Out auf Instagram emotionaler gestalten können. Ich hätte die Struggles, die queere Personen haben können, aufführen können – Hinweise darauf, wie schmerzhaft es ist, das falsche Pronomen zu hören. Die kleinen Dinge wie das Gendern. Ich hätte all die Situationen erwähnen können, in denen man sich nicht zugehörig fühlen kann – beim Auswählen der Kabinen, der Toiletten oder dem Ausfüllen von Umfragen. Die allgegenwärtige Binärität. Aber warum soll ich emotional werden? Warum soll ich mich dabei beugen und wieder versuchen mich anzupassen? Warum soll ich mich so outen, dass es für alle okay ist?


Ich finde, dass deine Grundeinstellung falsch ist.

Du forderst zu viel.


Clara schickt eine Sprachnachricht. Clara vergleicht meine geschlechtliche Identität mit ihrem Veganismus. Clara macht mich wütend. Es ist ein unsagbarer Vergleich. Ich habe damals nicht zahlreiche Tierdokumentationen geschaut, Artikel über die Folgen des Fleischkonsums gelesen und bin dann in den Bio-Laden spaziert, um ab jetzt nur noch Seitan und Tofu zu kaufen. Diese Möglichkeit bestand nicht – ich habe mich nicht aktiv dazu entschieden, mich nicht mit meinem biologischen Geschlecht zu identifizieren. Die einzige aktive Wahl bestand darin, mich wahrzunehmen, nicht dagegen anzukämpfen und glücklich zu sein.


Also ich finde es anstrengend, keine Pronomen zu benutzen. So geht es, glaube ich, vielen. Das macht die Sprache einfach kaputt.


Das macht das Hirn einfach kaputt - zu hören, dass Sprachbilder wichtiger sein sollen als Gefühle, die sie auslösen. Sprache wandelt sich. Wir ergänzen Wörter und Stilmittel und die Liste wird immer länger. Apps. Meme. Account. Ressource. Trap. Chiasamen. Und bei Pronomen wird es dann problematisch?


Ok. Wir reden aneinander vorbei.

Lass uns das Thema einfach beiseitelegen.


Ich würde das „Thema“ gern kurz mal beiseitelegen. Ich würde gern nicht morgens vorm Spiegel stehen und überlegen, wie man diese Brüste da irgendwie verstecken kann. Ich würde in den Briefköpfen gern meinen richtigen Namen lesen. Ich würde gern in den neuen Kurs gehen und nicht zusammenzucken, wenn die Leiterin „die Lilo“ sagt. Ich würde mich gern einfach auf den Inhalt konzentrieren und weniger darüber nachdenken, was sie darauf schließen lässt, dass ich eine Frau sein könnte. Wie sage ich in der nächsten Woche den anderen im Kurs, dass ich trans, nicht-binär, genderqueer bin, gern mit er/ihm oder einfach Lilo angesprochen werden möchte. Das mein Name mit einem „*“ oder „_“ aufgeschrieben werden soll?


Bitte fühl dich nicht angegriffen, aber…


Drei Wochen später bin ich mit Clara und einer weiteren Freundin aus der Schulzeit im Sommerurlaub. Clara reicht mir die Schüssel mit den Gemüsebratlingen: „Stellst du schon mal die Schüssel auf den Tisch? Äh … ich meine die Schüssel*in. Haha, ich weiß gar nicht mehr, was man und was man nicht gendern soll.“


Das ist der Zeitpunkt zu bitten.

Bitte, bitte halt einfach deinen Mund.






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