Die meisten von uns aus der Generation Z haben sie schon mal bekommen – unerwartet Post von der Bundeswehr. Mit Flyern und Briefen stellt sich die Bundeswehr uns als Arbeitgeber vor und klärt über die möglichen Karrierechancen auf. Auch ich habe solch’ einen Brief bekommen. In diesem Schreiben hat mir persönlich aber noch einiges gefehlt, unter anderem, wie es um die Inklusion und Diversität innerhalb der Truppen bestellt ist. Denn mit der Bundeswehr verbinde ich ehrlich gesagt weiterhin eine cis-gender, heteronormative, männerdominierte Gruppe. Aber liege ich da falsch? Ist die Bundeswehr mehr Gen Z als man denkt? Spiegelt die Bundeswehr bereits die Vielfalt der Realität wider?
Antworten auf diese Fragen bietet der Wehrbericht 2022, welcher über den aktuellen Stand der Bundeswehr Auskunft gibt. Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, bilanzierte nach Veröffentlichung des Wehrberichts am 14. März 2023: „Die Bundeswehr hat von allem zu wenig.“(1) Sie bezog sich in erster Linie auf die generelle Ausstattung der Streitkräfte, jedoch zeigt der Wehrbericht auch noch etwas: zu wenig Vielfalt! Während die Bundeswehr die eigenen Reihen als „bunte Truppen“(2) bezeichnet und einen starken Fortschritt, was Vielfalt und Inklusion innerhalb der eigenen Reihen angeht, vermerkt, zeigt der Bericht jedoch klare Mängel und Defizite auf.(3) Nach den beschriebenen „bunten Truppen“ lässt sich im Bericht suchen. Fortschritt in der Diversität der Einheiten ist essenziell, da auch die Bundeswehr unter dem momentan vorherrschenden Fachkräftemangel leidet und davon profitieren würde, als attraktiver Arbeitgeber für viele Gesellschaftsgruppen zu gelten, um diesen Mangel auszugleichen. Aber wie genau steht es denn nun um die „Einheit Vielfalt“ der Bundeswehr?
Frauen in der Bundeswehr – von Leutnant und Frau Leutnant
„Sie fliegen Kampfflugzeuge und Hubschrauber. (…) Frauen bei der Bundeswehr sind nicht mehr wegzudenken. Mittlerweile sind Soldatinnen in fast jedem Bereich der ehemaligen Männerdomäne angekommen.“(4)
Mit diesen Worten prahlt die Bundeswehr auf ihrer Website mit ihren Fortschritten bei der Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Bundeswehr spricht von einem Ankommen der Soldatinnen, da Frauen in der Bundeswehr noch gar nicht allzu lange eine Selbstverständlichkeit sind. Der 13. Oktober 1975 war der Tag, an dem sich die Reihen der Bundeswehr erstmals veränderten. Die ersten Frauen traten ihren Dienst bei der Bundeswehr an, als Ärztinnen, die ersten weiblichen Soldaten im Sanitätsdienst. In der Armee können Frauen erst seit dem Jahr 2000 tätig sein, dank der Klage einer Frau gegen die bestehenden Richtlinien der Bundeswehr. Der Europäische Gerichtshof in Luxenburg fällte das Urteil, dass der Artikel 12a, Absatz 4 des Grundgesetzes, welcher Frauen den Dienst an der Waffe untersagte, rechtswidrig sei und eine Diskriminierung gegenüber Frauen darstelle. (5)
Doch auch wenn der Weg in die Bundeswehr Frauen seitdem offensteht, ist der Status als Männerdomäne weiterhin nicht ganz überwunden. Im Gesetz zur Gleichstellung der Soldat:innen in der Bundeswehr wurde eine Quote von 15 % des Frauenanteils innerhalb der Bundeswehr festgelegt. Der Wehrbericht zeigt jedoch, dass diese angestrebte Quote nicht mal annäherungsweise erfüllt wurde. Frauen machten 2022 lediglich 9,5 % aus, womit der momentane Frauenanteil weit unter der eigenen Vorgabe liegt. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Hindernis 1: Gläserne Decke
Ein ausschlaggebender Gegner der Soldatinnen ist die sogenannte gläserne Decke. Unter dem Phänomen versteht man eine unsichtbare Barriere, welche dafür verantwortlich ist, dass Frauen im Karriereverlauf trotz oft hoher Qualifikationen häufig nicht aufsteigen können, während männliche Kollegen mit ähnlichen Qualifikationen aufsteigen. Begründet wird die „gläserne Decke“ mit stereotypen Rollenvorstellungen von Frauen. Auch bei der Bundeswehr haben die Soldatinnen noch mit Vorurteilen zu kämpfen, wie „Sicher, dass das nicht zu hart für dich ist?“ oder „Bist du überhaupt stark genug?“. Dies führt zu einer anhaltenden fehlenden Anerkennung bei gleicher Leistung und zu einer Unterrepräsentation in Führungspositionen. Nur eine traurige Gesamtzahl von zehn Soldatinnen hat es bis 2023 geschafft, in die Besoldungsgruppe B aufzusteigen, mit welcher die hochrangigen Posten vergütet werden.
Ein großer konkreter Kritik- wie Stützpunkt der „gläsernen Decke“ ist die schwere Vereinbarkeit von Familie und Karriere bei der Bundeswehr. Die Bundeswehr als Arbeitsplatz stellt eine große Herausforderung für Familien durch Versetzungshäufigkeit, Einsatzzeiten und Lehrgangszeiten etc. dar. Da in unserer Gesellschaft weiterhin Frauen die Hauptlast bei der Care-Arbeit tragen, sind die besonderen Anforderungen der Bundeswehr ein weiteres Hindernis der Soldatinnen auf ihrem Weg an die Spitze der Truppen. Es wurden bereits Bemühungen getroffen, mehr Kinderbetreuung und auch Homeoffice anzubieten. Aber die Unterstützung reicht nicht aus und führt weiterhin dazu, dass qualifizierte Soldatinnen sich gegen eine Karriere als Berufssoldatin entscheiden oder eine Führungsposition ablehnen.
Hindernis 2: Wertschätzung und Ausstattung
Frauen stehen die Wege in der Bundeswehr theoretisch offen, jedoch weisen fehlende Damentoiletten, Duschräume und unpassende bis fehlende Ausrüstung auf wenig Wertschätzung und Unterstützung der Soldatinnen hin. Hemden und Hosen entsprechen nicht der weiblichen Körperform, der Gesellschaftsanzug stammt weiterhin aus den 1970er-Jahren und BHs und Strumpfhosen weisen eine geringe Qualität auf.
Lebensgefährlich wird die fehlende Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse von Frauen, wenn es ihre persönliche Sicherheit betrifft. Der Wehrbericht zeigt einen Mangelbestand an passgenauen Schutzwesten für Frauen. Die Soldatinnen benötigen in der Großzahl Schutzwesten in der Größe S, müssen allerdings meistens auf eine größere Größe zurückgreifen, da eine erhebliche Menge an lebensrettenden Westen in der richtigen Größe fehlt. Es wurde bereits das Ziel verkündet, bis Ende 2025 weitere 16.000 Schutzwesten in Größe S zu bestellen. Dieses Problem hätte aber schon längst behoben werden müssen, um Frauen in der Bundeswehr nicht nur die gleichen Chancen, sondern vor allem die gleiche Sicherheit bieten zu können. Westen sind nicht das einzige, was fehlt: Es mangelt auch an für kleinere Hände angepasste Griffstücke bei Waffen, welche vor allem Frauen benötigen, um ihrer Berufung sicher und angemessen nachgehen zu können. Doch nicht nur durch die passende Ausstattung, sondern auch durch eine angepasste Anrede können Soldatinnen wertgeschätzt werden. Gängig ist es, die Dienstgrade, statt in feminine Formen umzuwandeln, durch ein Frau xy auszutauschen: Es gibt zum einen den Leutnant und zum anderen Frau Leutnant. Wirkliche Anerkennung und Inklusion gehen aus dieser Anrede nicht hervor, weshalb oft eine Reform der Bezeichnungen gefordert wird.
Hindernis 3: Einbeziehen von Expert:innen
Frauen bei der Bundeswehr müssen mehr mit einbezogen werden. Der Meinung ist auch die Bundeswehr, weshalb sie bei jeder Dienststelle seit 2005 eine Gleichstellungsbeauftragte einsetzt, um die Dienststelle bei Gleichstellungsgesetzen zu beraten und zu unterstützen. Im Wehrbericht zeigt sich jedoch, dass die Beratung von den Dienststellenleiter:innen nicht angenommen wird. Durch die ablehnende Haltung ihr gegenüber kann sie ihrer Aufgabe nicht gerecht werden, da sie nicht frühzeitig mit eingebunden wird, um die Interessen der Soldatinnen zu vertreten.
LGBTQA+ in der Bundeswehr – Zwischen Tabu und Toleranz
Aber nicht nur Frauen wurden (und werden immer noch) aus der Bundeswehr ausgegrenzt. Auch die LGBTQA+-Community ist noch keine Selbstverständlichkeit bei der Bundeswehr. Bis 1969 waren sexuelle Handlungen unter Männern in der Bundesrepublik strafbar. Die systematische Diskriminierung endet jedoch nicht dort. Bis 2000 bekamen homosexuelle Soldaten der Bundeswehr den Status „Sicherheitsrisiko“, wenn sie sich zu ihrer Sexualität bekannten. Ein Outing bedeutete für die Soldaten, dass sie keine Chance auf eine weitere Karriere hatten. Sie wurden in den unfreiwilligen Ruhestand versetzt, durften nicht als Vorgesetzte oder Ausbilder arbeiten, aber vor allem war ihr Ruf ruiniert. Auf die jahrzehntelange Diskriminierung von homosexuellen Soldaten und weiteren Mitgliedern der LGBTQA+-Community blickt die Bundeswehr heute mit Bedauern: „Die Haltung der Bundeswehr zur Homosexualität war falsch. Sie war damals schon falsch und hinkte der Gesellschaft hinterher, und sie ist es aus heutiger Sicht umso mehr.“(6)
Das waren die Worte der ehemaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer 2020 angesichts der Veröffentlichung einer Bundeswehr-Studie, welche die staatliche Verfolgung homosexueller Soldaten untersuchte.(7) Als Maßnahme trat 2021 das Gesetz zur Rehabilitierung von homosexuellen Soldaten in Kraft, welches eine finanzielle Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro beinhaltet, die das Leid der Betroffenen mildern soll. Stand Juni 2023 wurden 170 Anträge auf Entschädigung gestellt, 131 als positiv beschieden und 381.000 Euro ausgezahlt. Der Wehrbericht von diesem Jahr zeigt auch, dass die Bundeswehr mit ihrem Leitfaden „Transidentität in der Bundeswehr“ Fortschritte hinsichtlich der Akzeptanz von transsexuellen Personen gemacht hat, und auch die Betroffenen selbst vermerken positive Veränderungen. Trotz einer immer größeren Toleranz sind Soldatinnen nach wie vor verunsichert, wie viel sie von ihrer eigenen Sexualität preisgeben können. Bundesweite Aufmerksamkeit erhielt ein Vorfall in den sozialen Medien im Jahr 2019. Anastasia Biefang, die erste transsexuelle Bundeswehrkommandeurin, erhielt einen disziplinarischen Verweis. Der Grund dafür war ein Eintrag auf ihrem Tinder-Profil: „Spontan, lustvoll, trans, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome.“
In dieser Aussage sah ihr Disziplinarvorgesetzter einen Verstoß gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht, worin ihn das Bundesverwaltungsgericht bestärkte.(8) Die Entscheidung über die daraufhin eingereichte Verfassungsbeschwerde steht noch aus. Die Entscheidung jedoch der Soldat:innen darüber, was sie posten und was nicht, ist nach dem Vorfall allerdings erschwert worden. Der Vorfall zeigt, dass weiterhin an der Akzeptanz und Offenheit gegenüber Sexualität in der Bundeswehr, aber auch in unserer Gesellschaft insgesamt, gearbeitet werden muss. Selbstbestimmung sollte kein Tabu sein und in keiner Weise die Karriere behindern.
Menschen mit Behinderung in der Bundeswehr – Barrieren abbauen
Das generelle Bild der Bundeswehr ist durch körperliche und psychische Stärke sowie Unversehrtheit geprägt. Demnach stehen Menschen mit Behinderung bei der Bundeswehr auch vor einer besonderen Herausforderung, denn viele Soldat:innen mit Behinderung haben ein von körperlich oder seelischer Versehrtheit geprägtes Selbstbild, welches konträr zu dem Image der Bundeswehr steht. Wie werden sie dennoch eingebunden? Menschen mit Behinderung können kein:e Soldat:in werden. Jedoch weist die Bundeswehr als Arbeitgeber diverse Bemühungen auf, das volle Potenzial von Menschen mit Behinderung zu nutzen und zu fördern. Michael Heitfeld, die ehemalige Hauptvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beim BMVg (Bundesministerium der Verteidigung) sagt: „Der Leitgedanke ist, dass die Menschen nicht behindert sind – sondern, dass sie durch Barrieren in ihrer Umgebung behindert werden.“(9)
Genau diese Barrieren müssen wir als Gesellschaft und alle Arbeitgeber:innen, wie auch die Bundeswehr, stürzen, damit mehr Inklusion und Vielfalt herrschen kann. Ein Integrieren von Menschen mit einer Behinderung sollte zudem ein grundlegendes Ziel der Bundeswehr sein, um den Personalbedarf in Zeiten des Fachkräftemangels decken zu können. Knapp 9.500 Inhaber:innen eines Schwerbehindertenausweises oder eines Gleichstellungsbescheides arbeiten momentan in der Bundeswehr. Sie werden in der Verwaltung und in den Büros eingesetzt. Jedoch haben Personen mit Behinderung auch besondere Herausforderungen bei der Bundeswehr.
Hin zur Truppe Vielfalt
Was also machen wir mit den noch relativ eintönigen, statt bunten Truppen? Die Bundeswehr ist keineswegs mehr, was sie mal war. Sie zeigt sich bemüht, was Inklusion und Gleichberechtigung angeht.Die Entwicklung der Bundeswehr in Betracht auf Vielfalt und Diversität zeigt, dass bestehende Strukturen nicht angenommen werden müssen. Vielfalt kann und muss in allen unseren Lebensbereichen eine Selbstverständlichkeit werden. Der Fall der Bundeswehr zeigt dabei allerdings auch, dass dies ein langer Weg und ein anstrengender Kampf ist und bleiben wird, den wir immer hinterfragen und reflektieren müssen. Die Bundeswehr muss auf die angeführten Defizite im Wehrbericht 2022 sinnvoll reagieren und sich anstrengen, aktiv für mehr Vielfalt einzutreten. Zwischen ihren Ansprüchen und der Realität liegt weiterhin eine Diskrepanz, welche mit kreativen Ideen, akuten Maßnahmen und mehr direkter Teilhabe der betroffenen, teils sogar intersektional betroffenen Personen überwunden werden muss.
Im Wehrbericht 2022 heißt es: „Die bisherigen Anstrengungen (reichen) offensichtlich nicht aus.“ 2012 hat die Bundeswehr bereits die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet und sich somit selbst dazu verpflichtet, Diversität zu fördern und ein inklusives Arbeitsumfeld zu schaffen.10 Mit dem alleinigen Unterzeichnen einer solchen Charta ist es aber nicht getan. Noch ist die Bundeswehr nicht ganz so bunt, wie sie gern sein würde und wie sie sich teils präsentiert. Das Ziel nach Vielfalt und Chancengleichheit muss laut und präsent bleiben.
Die Einheit Vielfalt ist weiterhin zu klein und zu unscheinbar bei der Bundeswehr. Noch kann nicht von „bunten Truppen“ die Rede sein – eher von Eintönigkeit, mit ein paar Farbtupfern. Die Bundeswehr ist mit guten vorbildlichen Absichten dabei und kann auch bereits viele Erfolge vermerken, jedoch ist es unter anderem die Aufgabe der Generation Z, hinzugucken, zu ermahnen und aufzupassen, damit die Einheit Vielfalt nicht kleiner, sondern größer wird.
Quellen
(1) Die Zeit, 2023: Die Bundeswehr hat von allem zu wenig, online zeit.de [14.06.2023].
(2) Bundeswehr, 2023: Von der reinen Männerdomäne zur bunten Truppe, online bundeswehr.de [23.06.2023].
(3) Bundestag, 2022: Unterrichtung durch die Wehrbeauftragte „Jahresbericht 2022“, online bundestag.de [14.06.2023].
(4) Bundeswehr, 2023: Frauen bei der Bundeswehr, online bundeswehr.de [10.06.2023].
(5) NDR, 2020: Tanja Kreil: Pionierin für Frauen in der Truppe, online ndr.de [24.06.2023]
(6) Verteidigungsministerium 2020: Tweet, online twitter.com [10.06.2023].
(7) Storkmann, K., 2020: Tabu und Toleranz: der Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.
(8) FUNK, 2023: Wegen Dating-App vor Gericht – Der Fall Anastasia Biefang, online ardmediathek.de [10.06.2023].
(9) Bundeswehr, 2023: Inklusion in der Bundeswehr, online bundeswehr.de [12.06.2023].
(10) Bundestag, 2023: Unterrichtung durch die Wehrbeauftragte „Jahresbericht 2023“, online bundestag.de [14.06.2023].
Comments