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Fahrradstadt Hamburg?

Es ist morgens um 8:40 Uhr. Ich gehe die Treppe im Treppenhaus hinunter, ziehe die etwas schwerfällige Eingangstür, die zur Straße geht, nach innen auf. Vorsichtig und aus täglicher Übung schon ein Automatismus, setze ich meinen linken Fuß genau an die Türschwelle. Mein Gleichgewicht ausbalancierend, bringe ich nun meinen Oberkörper langsam nach vorne. Mit Blick nach links schiebe ich meinen Kopf aus der ein wenig in die Mauer zurückgesetzten Tür. Und auch heute hat es sich wieder gelohnt. Meine Vorsichtsmaßnahme hat es dem – schätzungsweise 95 kg schweren – Koloss an Rennradfahrer, dessen rechter Arm mit satten 30 Stundenkilometern wenige Zentimeter an meiner Nasenspitze vorbeirauscht, und mir erspart, unsere Tagespläne, die wir beide bis hierhin um 8:41 Uhr hatten, aus dem Krankenhausbett heraus umstrukturieren zu müssen.


Ich wohne an der Stresemannstraße, in einem Abschnitt, an dem es keinen Radweg gibt. Entweder fahren Radler*innen im dichten Auto- und Lkw-Gedränge dieser Hamburger Hauptverkehrsader mitten auf der Straße oder sie kurven an den Fußgänger*innen auf dem schmalen Gehweg vorbei. Klar: Radfahren ermöglicht individuelle Mobilität, ist sehr umweltfreundlich, lautlos und fördert die Gesundheit. Aber müssten bei so vielen Vorteilen nicht mehr Fahrradfahrer*innen auf den Straßen zu sehen sein?


Der Hamburger Senat hat sich für 2030 das Ziel gesetzt, dass ÖPNV, Fuß- und Radverkehr zusammen 80 % des Gesamtverkehrs ausmachen, gegenüber 64 % im Jahr 2017.(1) Die Qualität der Radwege ist sehr unterschiedlich. So fährt es sich auf den 14 Velorouten, die aktuell ausgebaut werden, sehr gut. Stand Januar 2022 sind fast 200 von den geplanten 280 Kilometern fertiggestellt. Die Velorouten sind ein Netz aus Radwegen, die von verschiedenen Startpunkten am Stadtrand in den Stadtkern führen. Dabei kommen innerhalb der ausgeschilderten Routen verschiedene Arten von Radwegen vor. Grundsätzlich wird darauf geachtet, die Routen auf Nebenstraßen zu legen und somit vom Kraftverkehr zu trennen. Trotzdem gibt es Abschnitte, in denen man auf Radfahrstreifen an den großen Hauptstraßen fährt. Verantwortlich für die Umsetzung ist die 2020 neu geschaffene Behörde für Verkehr und Mobilitätswende.(2)


Die „Veloroute 3: City–Niendorf“ zum Beispiel führt mich vom Rathaus vorbei an Gänsemarkt, Staatsoper und Dammtorbahnhof. Hier sorgen Schutzstreifen neben Radfahrstreifen für ausreichende Breite und ein komfortables Fahrerlebnis. Ab dem Dammtorbahnhof geht es auf Nebenstraßen Richtung Uni Hamburg. Streckenweise sind diese auch explizit als Fahrradstraßen ausgewiesen. Es macht Spaß, die kleinen ruhigen Hinterstraßen auf glattem Teer entlangzubrausen, ohne an Ampeln anhalten zu müssen. Ein Problem, das sich mir hier jedoch aufzeigt und bis zum Ende der Veloroute 3 anhält: Die inkonsequente Ausschilderung der Route. Immer wieder komme ich vom Weg ab, muss umständlich auf dem Handy nach der richtigen Abbiegung suchen.


An der Uni vorbei, auf dem Weg in das Wohngebiet Niendorf, mache ich eine Entdeckung, als ich an einer roten Ampel stehe. An der Ampel befindet sich ein kleines Zusatzschild, auf dem steht „grüne Welle bei 18 km/h“. Leider scheitert mein Versuch, diese grüne Welle zu reiten, daran, dass ich keinen Tacho an meinem Fahrrad habe.(3) Apropos grüne Welle. Ich mache einen kleinen Exkurs in das Fahrrad-Paradies und Dänemarks Hauptstadt, Kopenhagen. Hier gibt es grüne Wellen für Fortgeschrittene. Kleine grüne LED-Leuchten, die alle paar Meter im Radweg eingelassen sind, zeigen der radfahrenden Person an, ob sie die grüne Ampel erwischen wird. So geht in der Geschwindigkeit von 20 km/h ein Licht nach dem anderen entlang des Radwegs aus. Die Radfahrer*innen können dadurch erkennen, ob sie vielleicht ein bisschen fester in die Pedalen treten müssen, um die Ampel noch rechtzeitig zu überqueren oder ob sie ein bisschen abbremsen müssen, damit sie nicht auf eine rote Ampel treffen.(4)


Welche Gründe gibt es dafür, dass viele Städte Kopenhagen als Vorbild für die eigene Planung sehen?


Wie man an genanntem Beispiel erkennt, lässt man sich in Kopenhagen bei der Verkehrsinfrastrukturplanung auf die Bedürfnisse von Radfahrenden voll und ganz ein. Radfahrende sind keine Mitnutzenden von Pkw-Fahrbahn und Gehwegen. Fahrräder werden als eigenständiges Verkehrsmittel anerkannt, dem eigene Verkehrswege zustehen. So gibt es Einbahnstraßen, in denen das Rad in eine Richtung fährt und die Autos in die andere Richtung fahren und parken. Das Resultat: Autofahrer*innen schauen beim Türöffnen auf den entgegenkommenden Radverkehr. Die Gefahr des sogenannten Doorings wird drastisch reduziert. Mit Dooring ist das unachtsame Öffnen von Autotüren gemeint, wodurch von hinten herannahende Fahrradfahrer*innen gefährdet werden. Auch in punkto Radparkplätze ist die dänische Hauptstadt Hamburg voraus. Fahrradparkhäuser, die in der ganzen Stadt verteilt sind, sorgen für genügend Stellplätze und Schutz vor Witterung und Diebstahl.


Vergleicht man Kopenhagen mit Hamburg, dann ist zu erkennen, dass auf den Velorouten in unserer Hansestadt viele Aspekte aus Dänemark umgesetzt werden. Trotzdem gibt es im restlichen Hamburger Verkehrsnetz viele Radweg-Kilometer, die noch in einem schlechten Zustand sind und für Radfahrer*innen sehr gefährlich werden können. Baumwurzeln sorgen dafür, dass der Teer aufplatzt oder sich Pflastersteine als riskantes Hindernis aus der Fahrbahn herausschieben. Am gefährlichsten sind allerdings die Stellen, an denen Radverkehr unübersichtlich auf Kraftverkehr trifft. Dort kann ein Unfall schnell böse Folgen haben.(5)


Wie möchte Hamburg Fahrradfahren sicherer machen?


Als obersten Punkt nennt die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) die bauliche Trennung von Fußverkehr, Radverkehr und Kfz-Verkehr. Ein Beispiel dafür ist die Straße Esplanade, zwischen Binnenalster und Dammtor. Dort ist eine Protected-Bikelane installiert worden. Der Fahrradweg befindet sich auf derselben Ebene wie die Kraftfahrstraße, ist jedoch durch einen Bordstein-Streifen davon getrennt. Der Bürgersteig liegt eine Ebene höher, was logischerweise dafür sorgt, dass eine Bordsteinkante auch Rad- und Gehweg voneinander trennt. Die Folge: Keine falsch parkenden Autos auf dem Radweg, keine Radfahrer*innen, die für den Überholvorgang den Gehweg nutzen, und genauso keine Fußgänger*innen, die versehentlich den Radweg blockieren. Zusätzlich setzt die BVM auf Kampagnen, wie beispielsweise „Hamburg gibt acht!“, die Hamburger*innen für das Thema Verkehrssicherheit sensibilisieren sollen.


Kampagnen und Vorzeigeprojekte sind gut. Aber der Weg mit dem Fahrrad von A nach B ist immer nur so sicher, wie die gefährlichste Stelle auf dieser Strecke.

 

Quellen

(1) Behörde für Verkehr und Mobilitätswende, 2022: Hamburgs neue Strategie für den Rad- und Fußverkehr, online hamburg.de [27.10.22].


(2) Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation, 2018: Fortschrittsbericht 2018 – Bündnis für den Radverkehr, online [03.09.22].


(3) Mirbach, J., 2021: Wie gelingt die Verkehrswende?, Film [27.08.2022 auf ARTE].


(4) Depenau, A., 2022: „Erfasst“, „Touchiert“ oder „Angefahren?“, Radcity – Das Magazin des ADFC Hamburg, Nr. 2.


(5) Stern, D. und Hjorth, D., 2016: Kopenhagen als Zukunftsmodell – Der Traum von der grünen Revolution mit dem Velo, online woz.ch [28.08.22].


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