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Stadt(entwicklung) mit Corona

„Nature is healing“ stand über dem Bild, welches im März 2020 auf Twitter kursierte. Darauf zu sehen: zwei Delfine, die im klaren blauen Wasser durch ein magisches Venedig schwimmen. Venedig sei Dank Corona wieder frei von Tourist*innen, dafür wimmelten wieder wilde Tiere in der Stadt – „nature is healing“ eben. National Geographic stellte wenig später fest, was den meisten schon klar war: Das Bild war ein Fake, Delfine in Innenstädten sind keine positive Folge von Corona und Lockdown.(1)


Aber gibt es solche (positiven) Folgen auf das Stadtbild durch Krankheiten überhaupt? Sascha Anders, der als Stadtplaner an der Hafen-City-Universität arbeitet und forscht, bejaht die Frage: Durch die Hamburger Cholera-Epidemie vor etwa 130 Jahren wurden zum Beispiel neue Baugesetze erlassen, die Müllentsorgung optimiert und das Wasser-Filtrierwerk Kaltehofe (BTW: super Ausflugsziel!) gebaut. Krankheiten nehmen also Einfluss auf die Art, wie wir in Städten zusammenleben, und das nicht erst seit Corona!


Öffentlicher Raum ist pandemiegerecht.


Nun ist die Cholera-Epidemie schon länger her und die Entwicklungen von damals nicht so richtig greifbar, Corona hingegen ist mittlerweile fest in unserem Denken verankert. Wie sieht’s also damit aus? „Ob die COVID-19-Pandemie ähnliche Auswirkungen auf die Stadtentwicklung haben wird, bezweifle ich“, sagt Sascha Anders dazu. (Städte-)Bauliche Maßnahmen, die Pandemien verhindern, oder zumindest mitdenken, nennt man „pandemiegerecht“. Pandemiegerechte Maßnahmen können zum Beispiel zusätzliche Aus- und Eingänge, besondere Lüftungssysteme, weniger Großraumbüros oder auch ein Arbeitszimmer in der Wohnung für das Homeoffice sein. Wieder zweifelt Anders an der Langfristigkeit solcher Trends: „Die Auswirkungen des Klimawandels und die ökologischen und energiesparenden Aspekte beim Neubau [dürften] perspektivisch eine wesentlich größere Rolle [als pandemiegerechtes Bauen] spielen.“ So ganz wie vor der Pandemie bleibt die Stadt aber nicht. „Die Shutdowns haben gezeigt, wie wichtig der öffentliche Raum für eine Stadtgesellschaft ist. Damit sind öffentliche Plätze, Grünanlagen und auch die Wege und Straßen der Stadt gemeint.“ Die größte Veränderung durch Corona sieht Anders also darin, dass öffentlicher Raum, also Orte zum Freund*innen und Familie treffen, spazieren gehen, Bücher lesen und Sport machen, nun im Fokus von Politik und Stadtplanung sind. Er sagt: „Die öffentlichen Parks waren in Hamburg noch nie so gefüllt wie im Frühjahr 2020.“ Auch in meinem damaligen Viertel Eimsbüttel war im Frühling vor zwei Jahren keine Bank und kein Stück Wiese im Park frei. Plötzlich waren Parks nicht mehr nur Orte, an denen sich Eltern mit kleinen Kindern oder Senioren aufhielten, sondern Gemeinschaftsflächen, altersübergreifend für alle zum Weniger-einsam-Fühlen. Neben neuen Parks und Grünflächen sind auch breitere Radstreifen oder Parkplätze, die plötzlich zu gastronomischen Flächen werden, zusätzliche Sitzbänke oder auch umweltverträgliche Mobilitätskonzepte wie das 9-Euro-Ticket Veränderungen des öffentlichen Raums, die die Stadt in einer Pandemie lebenswerter machen. Die Pandemie hat uns also all diese kleinen Nebenschauplätze in der Nachbarschaft neu entdecken lassen: Die größere Verkehrsinsel, der kleine Park um die Ecke, der Abschnitt mit dem besonders breiten Bürgersteig wurde plötzlich als lebenswerter Ort des Zusammenkommens verstanden und in zukünftiger Stadtplanung verstärkt mitgedacht.


Mehr Parkflächen und breitere Bürgersteige waren auch vor der Pandemie Thema der Stadtentwicklung, nur nicht so ausführlich. Corona kann hier als ein Beschleuniger von solchen, sich bereits abzeichnenden Trends betrachtet werden: Im Homeoffice z.B. arbeiteten auch vor Corona einige Menschen, nur eben nicht so viele. Durch die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten, sind mehr Menschen aus der Stadt aufs Land gezogen – auch das ist eine Entwicklung, die durch Corona verstärkt wurde. In Hamburg waren das schon in den Jahren bis 2019 7,5 Personen pro 1000 Einwohner, 2020 konnte eine Verstärkung dieses Trends ausgemacht werden.2 Es wird nicht mehr nur stur in Arbeitswegen gedacht, sondern durch die Flexibilität des Arbeitsplatzes kann von überall aus gearbeitet werden – und das wird auch genutzt. 2021 arbeitete ein Viertel aller Beschäftigten im Homeoffice.3 Heute arbeiten noch immer mehr Menschen im Homeoffice als vor der Pandemie. Dadurch werden Umstrukturierungen im Büro nötig. Ein Unternehmen kann beispielsweise mit weniger Arbeitsplätzen vor Ort auskommen, wenn hybride Arbeitsmodelle Teil der Unternehmenskultur sind. Dies führt zu weniger Bedarf an Büroflächen, ob dadurch auch der Bedarf an Bürokomplexen innerhalb der Stadt sinkt, bleibt abzuwarten. Das Homeoffice sorgte allerdings auch für mehr Einsamkeit, denn der Austausch mit den Kolleg*innen in der Kaffee- oder Mittagspause fiel genauso weg wie persönliche Treffen und Interaktionen vor oder nach der Arbeit.


Shopping für die Stadtveränderung

Wer zu Hause arbeitet, nutzt die Läden im eigenen Wohngebiet mehr als die in der Innenstadt, wodurch bestimmte Geschäfte während der Pandemie viele neue Nachbarschaftskund*innen gewannen, und andere treue Kund*innen, die zuvor um die Ecke arbeiteten, verloren. Onlineshopping stieg auf ein Allzeithoch, erklärt Anders und mutmaßt, dass trotz der wieder geöffneten Läden dauerhaft mehr Menschen von zu Hause einkaufen werden als vor der Pandemie. Ein Trend, der sich schon vorher abgezeichnet hat, aber noch einmal beschleunigt wurde. Dadurch verändert sich auch die Hamburger Innenstadt: Zwar mussten viel weniger Restaurants, Cafés und Geschäfte schließen als befürchtet, dennoch braucht es neue Anreize, um in die Innenstadt zu fahren, wenn auch von zu Hause aus eingekauft werden kann.

Ladenbesitzende müssen also kreativ werden, eine besondere Shopping-Atmosphäre schaffen und neue Modelle, wie beispielsweise Click&Collect, einführen. Dabei können Kund*innen zu Hause checken, ob die gewünschte Ware im Laden vorhanden ist, und dann in die Stadt fahren, um – beispielsweise das Kleidungsstück – dort anzuprobieren und zu kaufen.


Die Innenstadt verändert sich – immer.


In der Stadtentwicklung spricht man von einem Nutzungsmix, nach welchem sich Innenstädte aufteilen. Verschiedene Bereiche, wie zum Beispiel Arbeiten, Einkaufen, Religion, Kultur und Macht (das Rathaus und das Parlament) sind in einer Innenstadt zu verschiedenen Zeiten verschieden stark vorhanden. War vor der Pandemie Einkaufen und Arbeiten für viele Menschen einer der Hauptanreize, um in die Stadt zu fahren, so sind heute, mit Homeoffice und Homeshopping, andere Bereiche, wie beispielsweise kulturelle Angebote, wieder wichtiger. Dieser Nutzungsmix hat sich schon immer gewandelt, durch Corona wurde ein bereits bestehender Wandlungsprozess beschleunigt. Dazu gehört auch, dass neue Bereiche in den Nutzungsmix eingeführt werden. „In der Hamburger Innenstadt wird zum Beispiel auch schon länger versucht, das Wohnen wieder stärker zu etablieren“, sagt Anders.


Hamburg verändert sich beständig. Krankheiten, technische Neuerungen, gesellschaftliche Entwicklungen und politische Ereignisse beeinflussen die Entwicklung einer Stadt und zeichnen sich im Stadtbild ab. Vor allem aber verändern wir alle, die Bewohner*innen Hamburgs, diese Stadt und spüren gleichzeitig all ihre Veränderungen am stärksten. „[O]b man will oder nicht, wenn man in Hamburg wohnt, ist man auch von der Stadtentwicklung betroffen“, erklärt Anders. Glücklicherweise gibt es in Hamburg eine ganze Reihe an Gruppen und Organisationen, in denen Hamburger*innen ihre Ideen zur Stadtentwicklung einbringen können. Zu nennen sind beispielsweise lokale Organisationen, wie die Initiative „Sternbrücke“, die „Altstadtküste“ und die Initiative „Zentrum für Zukunft“, sowie Hamburg-weite Gruppen, wie die Initiative „Recht auf Stadt“. Die Teilnahme an solchen Initiativen ist auch deshalb wichtig, weil wir alle unterschiedliche Perspektiven mitbringen. Eine Person , die vermietet, erlebt die Stadt anders als ein*e Mieter*in, eine junge Person anders, als ein*e Senior*in und wer in einer Wohngemeinschaft wohnt, hat ganz andere Bedürfnisse als ein*e Schüler*in oder Student*in, der*die noch bei den Eltern wohnt. All diese Perspektiven und Erfahrungen sind wichtig, um die Stadt optimal für alle zu gestalten. Oder wie Anders es sagt: „Jede*r Hamburger*in ist ein*e Experte*in.“


 

Quellen

(1) Daly, N., 2020: delfinlos. Virale Fakes machen falsche Hoffnung, online nationalgeographic.de [26.11.2022].


(2) Erhardt, C., 2021: Landleben. So viele Menschen flüchten aus der Stadt, online kommunal.de [26.11.2022].


(3) Statistisches Bundesamt, 2022: Ein Viertel aller Erwerbstätigen arbeitete 2021 im Homeoffice, online destatis.de [26.11.2022].



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