Ihr Tag scheint mehr als 24 Stunden zu haben. TOKUNBO ist unabhängige Musikerin, nennt ihre Musik Folk Noir und blickt auf gut 20 Jahre Karriere zurück - ist aber noch lange nicht fertig. TOKUNBO wurde ausgezeichnet als „Best Female Artist“ der International Acoustic Music Awards (IAMA), hat fünf German Jazz Awards zu Hause stehen und wird gleichermaßen von Kritiker*innen und Hörer*innen hochgelobt.
An einem sonnigen Tag bei offenen Fenstern sitzt TOKUNBO im Vortragsraum der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Ein Raum im Stil der Gründerzeit mit hoher Decke, nebenan steht ein großer Flügel. TOKUNBO ist in einen tintenblauen Jumpsuit gekleidet, sitzt mit überschlagenen Beinen am Dozententisch und lächelt vorfreudig in die Runde. Sie gibt heute einen Workshop zu Release-Planung.
TOKUNBO (auf Insta @tokunbomusic) ist Singer/Songwriterin oder besser gesagt: Eine Poetin mit besonders wachen Sinnen für das, was um sie geschieht. Ebenso gut versteht sie es, diese Zwischentöne des Lebens in ihre Musik einzuarbeiten. Ihre samtige Stimme setzt sie dabei so gekonnt ein, dass es scheint, als würden die Töne sich selbst beim Ausklingen lauschen. 15 Jahre lang war sie Frontfrau ihrer Jazz Band Tok Tok Tok und ist sie seit 2014 die Solokünstlerin TOKUNBO.
Immerwährend war und ist ihre Liebe zu „Musik mit warmer Ausstrahlung, die ganz direkt das Herz adressiert, ohne den Kopf zu unterfordern“,
sagt TOKUNBO über ihr zweites Solo-Album „The Swan“.
Das Herz für Musik hatte sie schon immer. Als Tochter eines nigerianischen Vaters und einer deutschen Mutter verbrachte sie ihre frühe Kindheit in Nigeria. Ihr Vater spielte damals Folk-Gitarre und begleitete eine Sängerin. Rückblickend sagt TOKUNBO: „So kam ich schließlich als Jugendliche dann auch zur Gitarre und begleitete mich selbst.“ Als Zehnjährige kam sie nach Deutschland zu ihrer Mutter, einer Kunstlehrerin. Sie erkannte TOKUNBOs Musikalität und förderte unermüdlich ihre Ambitionen. Auch TOKUNBOs Onkel, Tonmeister in München, nahm sie mit auf Konzerte und versorgte sie mit Bossa-Nova Aufnahmen, die er von seinen Reisen nach Brasilien mitbrachte.
Dem Herz für Musik
folgte später der Kopf.
Der innere Ruf holte sie an die Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Dort studierte sie Jazz-Rock-Pop-Gesang, inspiriert von Größen wie Billie Holiday und dem Motown Soul. Während des Studiums lernte TOKUNBO ihren späteren Bandkollegen Morten Klein kennen, mit dem sie 1998 Tok Tok Tok gründete.
In den darauffolgenden 15 Jahren veröffentlichten sie 13 Alben, gewannen fünf German Jazz Awards, den französischen Grand Prix SACEM und tourten über den ganzen Globus - durch Europa bis nach Israel, die Ukraine und Brasilien. 2011 erschien dann das vorletzte Album der Band. Das einzige deutschsprachige Album der Diskographie schließt mit dem Lied „Weil Es Zeit Ist“. Und TOKUNBO weiß, wenn es Zeit ist. 2012 veröffentlichte sie schließlich ihren letzten großen Tusch: „Gershwin with Strings“, ein Live-Album mit der NDR Radiophilharmonie. „Gershwin with Strings“ ist ein wahrhaft würdiger Abgang. In alter, träumerischer Schule schließt das Album, die letzten Töne der Streicher klingen aus.
Berlin. 2012. Neustart. Ein Gang durch Neukölln und eine Begegnung, die zum Sinnbild für einen neuen Lebensabschnitt werden sollte. Eine mintgrüne E-Gitarre hing im Schaufenster, die schließlich die Tür zu neuer Musik öffnete - aber auch die Tür zum neuen Selbst. Hinter diesen Türen liegt ein Gitarrenklangteppich, auf dessen Mitte eine Statue aus Singer-Songwriter-Attitüde steht, die einen engen Tanz mit dem Groove eingeht. Folk Noir.
Neben ihrem Dasein als sinnliche und poetische Schreiberin kümmert sie sich auch um ihr eigenes Business: „Ich habe mir eine eigene Infrastruktur aufgebaut– meinen eigenen Kosmos, in dem ich als unabhängige Künstlerin selbstbestimmt mit den Menschen zusammenarbeiten kann, mit denen ich das möchte. Seien es die Vertriebspartner, das Presswerk für meine Vinylplatten, die Promoter*innen, die die Pressearbeit übernehmen, bis hin zum Anwalt, der mich vertritt. Ich bin im Fahrersitz meiner Karriere.“
In diesem Fahrersitz steuert TOKUNBO viele wichtige Stationen an. 2020 gewann sie als erste Schwarze und als erste nicht-amerikanische Künstlerin den International Acoustic Music Award als „Best Female Artist“. Außerdem spielte sie – nun als Solokünstlerin – ein weiteres Konzert mit der NDR Radiophilharmonie vor 2500 Zuschauer*innen. „Das sind große Meilensteine meiner Karriere“, sagt TOKUNBO. Darüber hinaus engagiert sie sich auch erfolgreich für andere Kunstschaffende: Mit der Initiative #AirplayForArtists hat sie als Mitinitiatorin mit über 80 weiteren unterzeichnenden Künstler*innen der Independent-Szene um vermehrten Radioeinsatz von Musik unabhängiger Künstler*innen in der Zeit der Corona-Krise gebeten.
„Der Gedanke dahinter ist, dass das eine sehr konkrete Möglichkeit der Unterstützung durch die Radiosender ist, denn für jeden Radioeinsatz bekommen Songwriter und Komponisten eine Urheberrechtstantieme von der Urheberrechtsgesellschaft GEMA ausgeschüttet“, sagt TOKUNBO über die Aktion. Zurück im Gründerzeit-Vortragsraum. TOKUNBOs umfangreiche Power-Point-Präsentation mit empfohlenen Release-Zyklen für Singles, EPs oder Alben, Kapiteln über Vorläufe für Pressearbeit und Podcast-Tipps neigt sich dem Ende. Ein Teilnehmer fragt, wie sich ihr Berufsalltag denn aufteile in Organisation und eigentliches Musikmachen. „80/20“, sagt TOKUNBO, „insgesamt lernt man wirklich zu priorisieren, auf Abruf diszipliniert und produktiv zu arbeiten (auch kreativ), und rigoros die wenige Zeit, die einem zur Verfügung steht, zu schützen.“
Ihr Vortrag schließt mit einem Tourneebild: In ihren Armen hält sie ihren Sohn im Kleinkindalter – irgendwo im Backstage. Denn das möchte sie allen hier mit auf den Weg geben:
„Früher dachte ich: Entweder
Karriere oder Familie. Heute weiß ich, dass beides geht.“
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