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Nicht genesen: Post/Long Covid & ME/CFS

Long Covid: 65 Millionen Betroffene weltweit, 1 Million in Deutschland. Autorin Aurelia beleuchtet Symptome, politische Maßnahmen und Forschungsfortschritte. Karl Lauterbach verspricht 100 Millionen Euro, das Bundesgesundheitsministerium prüft den „Off-Label-Use“ von Medikamenten ... Doch die Suche nach Heilung ist lang. Deutschland ist auf dem Weg zu besserer Versorgung, aber eine Lösung bleibt bisher aus.


Ich merke es schon, als ich diesen Artikel schreibe: Long Covid hält Deutschland in Atem. Schon meine erste Suchanfrage bei Google zeigt mir das. Ich tippe ein „Was sind die Symptome von” und Google schlägt mir vor: … „Aids, … „Corona…” – als dritter Suchvorschlag poppt „Long Covid” auf. In einer Studie des Nature Reviews Microbiology vom 13. Januar 2023 geben Wissenschaftler:innen an, dass weltweit rund 65 Millionen Menschen an Long Covid leiden. Weiter heißt es, dass 10% der Covid-Patient:innen Spätfolgen in Form von Post Covid oder Long Covid aufweisen. In Deutschland geht man mittlerweile von mindestens einer Million betroffener Personen aus. Eine Million. Aber was bedeutet eigentlich „Long Covid” und „Post Covid”? Das RobertKoch-Institut (RKI) beschreibt Long Covid als „längerfristige gesundheitliche Beeinträchtigungen im Anschluss an eine SARS-CoV-2-Infektion, die über die akute Krankheitsphase von vier Wochen hinaus vorliegen.” Im Unterschied dazu bestehen bei Post Covid die Beschwerden über 12 Wochen hinaus. Dann spricht man auch vom Post-Covid-19-Zustand. Die Bundesregierung klärt auf einem Portal über die möglichen Symptome von Long Covid auf. Symptome können unter anderem Erschöpfung, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen, Husten, Muskelschwäche oder sogar Sprachstörungen sein. Weil die Krankheit so unterschiedliche Symptome hat, lässt sich kein einheitliches Krankheitsbild feststellen, so die Bundesregierung. Außerdem weist sie darauf hin, dass es im Moment keine Medikamente gibt, die die Ursachen von Long Covid bekämpfen. Ein ernüchternder Satz.


Aber wie kann Betroffenen trotzdem möglichst schnell geholfen werden? Und welche Aufgabe hat die deutsche Regierung in der Förderung von Forschung und im Aufbau von Versorgungsstrukturen für Betroffene?


Es wurde im Deutschen Bundestag schon über Aufbau und Verbesserung der Versorgung von Long/Post-Covid Patient:innen diskutiert. In zwei Punkten sind sich die Abgeordneten einig: Den Betroffenen muss schnell geholfen und die Forschung bezüglich der Krankheit muss ausgebaut werden. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, 100 Millionen Euro im Bundeshaushalt für die Erforschung von Long Covid bereitzustellen. Bis jetzt konnten aber nur 40 Millionen Euro gebündelt werden. Wie wichtig es wäre, die gesamte Summe zusammenzubringen, zeigt eine Aussage von ihm: „Wir haben sehr gute Grundlagenwissenschaftler. Es fehlt aber an Geld für die Versorgungsforschung. Und diese 100 Millionen Euro, die würden hier ein Segen sein, der weit über Deutschland hinausgeht.” Also würde es nicht nur deutschen Long-CovidPatient:innen zugutekommen, wenn die Forschung vorangetrieben wird, sondern auch andere Länder könnten von den in Deutschland gewonnenen Erkenntnissen profitieren. Die politische Verantwortung, mehr Forschung zu betreiben, ist also aus Sicht des Gesundheitsministers groß.


Immerhin, einen kleinen Lichtblick gibt es. Das Bundesgesundheitministerium (BMG) setzt sich dafür ein, dass für Long/ Post-Covid-Patient:innen der sogenannte „Off-Label-Use” von Medikamenten möglich wird. „Off-Label-Use” bedeutet laut des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, „andere Verwendung als auf dem Etikett”. Wenn Medikamente für den „Off-Label-Use” freigegeben werden, heißt das, dass mit ihnen andere Krankheiten als die, die sie eigentlich bekämpfen sollen, therapiert werden können. Was heißt das für die Betroffenen von Long Covid? Sie könnten Medikamente verschrieben bekommen, die eigentlich für die Bekämpfung von anderen Krankheiten verwendet werden. Damit könnten laut des Bundesgesundheitsministers und verschiedener Ärzt:innen zumindest Symptome von Long/Post Covid gelindert werden. Auf unsere Anfrage hin teilte das BMG außerdem mit, dass es einen mehrjährigen Förderschwerpunkt für die versorgungsnahe Forschung zu Long Covid setzt. Dabei werden Modellprojekte, in denen innovative Versorgungsformen zur Behandlung von Long-Covid-Betroffenen entwickelt und erprobt werden, gefördert. Damit sollen Forschungsergebnisse zeitnah in der Versorgung ankommen. Vertreter:innen der Wissenschaft begrüßen diesen Schritt, fordern aber gleichzeitig, Forschung massiv auszubauen. Die deutsche Forschungsgemeinschaft etwa schreibt, dass es nicht ausreiche, kurzfristig Initiativen zu fördern. Long Covid sei eine komplexe Krankheit, die sich auf den ganzen Körper auswirken kann. Deswegen brauche es langfristige Lösungen, um mit der Krankheit umzugehen. Es wird also sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik immer klarer, dass es großen Handlungsbedarf gibt, Long Covid zu bekämpfen. Aber was passiert eigentlich, wenn das Interesse nachlässt oder Forschung nicht schnell genug vorangeht? Und kann der Staat aus dem Umgang mit Long Covid auch Lehren für andere Immunerkrankungen ziehen?


Long Covid oder Post Covid können unterschiedliche Ausprägungen haben. Eine Folge kann die Immunkrankheit Myalgische Enzefalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) sein. Seit knapp zwei Jahren ist mein Bruder von ME/CFS betroffen. Wie sich die Krankheit für ihn anfühlt, hat er so erklärt: „Nehmt euren schlimmsten Kater hoch zehn, plus drei Tage nicht geschlafen, und es kommt noch nicht mal nah ran. Es ist, als ob man sich wie auf dem Höhepunkt einer Grippe befindet. Durchgehend.” Und jetzt stellt euch vor, dieser Zustand geht nicht mehr weg. Es vergehen Monate, irgendwann Jahre. Das ist das Schicksal von rund 17 Millionen Menschen weltweit. Sie leiden an ME/CFS. Vor seiner Erkrankung war mein Bruder ein aktiver Medizinstudent, der viel Sport gemacht und in einem Startup als Werkstudent programmiert hat. All das ist durch die Krankheit nicht mehr möglich. Manchmal ist nicht mal Spazieren- oder Einkaufengehen mehr möglich. ME/CFS kann sich unterschiedlich stark bzw. schwach ausprägen. Zu den Symptomen zählen Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit (Fatigue), Konzentrationsstörungen, Geruchs- und Geschmacksverlust, Kurzatmigkeit etc. Ich bemerke: Das klingt sehr nach Long bzw. Post Covid. Die Krankheit tritt in 50 % der Fälle nach Viruserkrankungen auf. Außerdem stellte die Wissenschaft fest, dass sich auch die Symptomatik von ME/CFS und Long Covid stark überschneiden. Zwar konnte wissenschaftlich noch nicht bewiesen werden, dass es sich um die gleiche Krankheit handelt, aber Wissenschaftler:innen vermuten, dass es wegen der ähnlichen Symptome eine sehr enge Verbindung zwischen diesen zwei Krankheiten gibt. ME/CFS gab es schon vor Corona: Im Jahr 1969 wurde die Krankheit erstmals als neurologische Krankheit klassifiziert. Eine Krankheit, über deren Existenz man seit über 50 Jahren weiß, sollte es da nicht schon längst ein Heilmittel geben? Ich kämpfe mich durch Artikel und Studien, aber mir wird schnell klar: Auch für ME/CFS gibt es kein Heilmittel. Das kann aber durch folgenden Grund zumindest teilweise erklärt werden: ME/CFS-Patient:innen treten nicht in Erscheinung, sie liegen ja hauptsächlich im Bett, in schweren Fällen können jegliche äußeren Reize zu einer Verschlimmerung der Symptome führen. Auch der Weg zur Diagnose ist schwer, oft wird Patient:innen ihr Leiden abgesprochen oder es wird psychologisiert. Das heißt, dass viele Ärzt:innen meinen, die Symptome haben einen psychologischen, keinen körperlichen Grund. Das größte Problem von ME/CFS ist jedoch, dass es zu wenig Forschung gibt. Und Forschung, die es gibt, werde nicht genug finanziert. Das schreiben Ärzt:innen, aber auch Patient:inneninitiativen. Aber auch hier wurde von der Politik vor allem durch die mögliche Verbindung zwischen ME/CFS und Long Covid ein Problem erkannt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert im Jahr 2023 mit 15 Millionen Euro die Erforschung der ME/CFS zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen.


Was ist die Essenz daraus? Die Politik hat erkannt, dass es wichtig ist, Forschung und Versorgung von Long Covid und ME/ CFS voranzutreiben. Aber das Beispiel von ME/CFS zeigt: Forschung zu einer neuen Krankheit oder einer Krankheit, die seit vielen Jahren nicht erforscht wurde, dauert. Ich halte fest: Deutschland ist im Aufbruch zu einer besseren Versorgung von Long Covid und ME/CFS. Aber ein Heilmittel für die beiden Krankheiten ist noch nicht in Sicht.

Illustration: Wadim Petunin

Quellen:

(1) Davis, H. et.al, 2023: Long COVID: Major Findings, Mechanisms and Recommendations, Nature Reviews Biology, online, nature.com [23.12.2023].

(2) Robert Koch Institut, 2023: Informationsportal des RKI zu Long COVID, online, rki.de [23.12.2023].

(3) Stern, 2023: Lauterbach - Wir brauchen 100 Millionen für Long-Covid-Forschung, online, stern.de [23.12.2023].

(4) Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2021: DFG-Kommission für Pandemieforschung: Long-COVID als multidisziplinäre Herausforderung für die Wissenschaft, online, dfg.de [23.12.2023].

(5) Deutsche Gesellschaft für ME/CFS, 2023: Was ist Long COVID?, online, mecfs. de [23.12.2023].

(6) Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2023: 15 Millionen für ME/CFS-Forschung, online, bmbf.de [23.12.2023].

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