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Revolution der Arbeitsverhältnisse

Prof. Dr. Klaus Hurrelmann hat eine jahrzehntelange Erfahrung in Soziologie, Psychologie und Pädagogik. Er ist einer der führenden Bildungs- und Sozialisationsforscher der Republik und war Gründungsdekan der ersten Fakultät für Gesundheitswissenschaften in Deutschland an der Universität Bielefeld.



Cornelius für GENZ: Die Pandemie ist noch nicht vorbei, aber inwieweit können Sie schon abschätzen, wie sich die Arbeitswelt in ihren Grundzügen neu positioniert hat?


(c) Hertie School

Prof. Dr. Klaus Hurrelmann: Die Pandemie hat die Arbeitswelt erheblich verändert. Es ist jetzt einfach selbstverständlich geworden, man merkt das bei den jungen Leuten ganz besonders stark, digital von zu Hause aus zu arbeiten. Man muss nicht präsent sein. Das ist ein enormer Impuls, der noch immer nachhallt und der die ganze Art und Weise von Arbeitshaltung, -Motivation und -Moral nachhaltig beeinflusst. Wir wissen ja auch, viele Unternehmen denken fundamental darüber nach, ob sie ihre Büros überhaupt noch halten wollen, wie sie die verändern wollen. Dahinter steckt eben eine enorme Veränderung der Arbeitsmöglichkeiten. Das Digitale dürfte hier der entscheidende Impuls sein, den die Pandemie erheblich beschleunigt hat.

Gab es denn für Sie in den letzten Jahren einen Moment, an dem Sie diesen Wandel konkret festgestellt haben?


Das war diese Bewusstseinsveränderung: Ich muss nicht physisch an meinem Arbeitsplatz sein, um meine Arbeitsleistung zu bringen. Das gilt nicht für alle Berufe, aber eben doch für sehr viele. Ich habe sogar Vorteile, wenn ich von zu Hause aus arbeite. Ich kann es mit anderen Aktivitäten verbinden, Tagesrhythmus und Konzentrationsphasen koordinieren und zwischendurch ohne Probleme und Schamgefühle eine Pause machen. Das ist ein Quantensprung in der Vorstellung, wie eine berufliche Tätigkeit aussehen kann.


Was erwarten Arbeitgeber*innen denn heute von jungen Nachwuchskräften?


Unternehmen merken diese Veränderung. Sie spüren, dass sie mit ihren Erwartungen, dass alles so weitergehen sollte wie bisher, keine große Chance mehr haben. Aber zunächst wollen Unternehmen natürlich die frei werdenden Stellen besetzen und im Idealfall so ähnlich, wie sie bisher besetzt waren. Aber: ausscheiden tun jetzt ganz überwiegend die Angehörigen der sog. Babyboomer-Generation (50–65-Jährigen), also die starken Jahrgänge, zahlenmäßig doppelt so stark wie die jetzt jüngeren Jahrgänge gehen aus dem Beruf raus und ein Unternehmen muss sehen, wie sie diese Position wiederbesetzen. Sie merken zunehmend, das das ganz schwierig ist. Sie stoßen mit ihren Erwartungen teilweise auf Defizite, auf Leere, teilweise aber auch tatsächlich auf Widerstand. Vor allem bei den jüngeren Menschen (unter 30-Jährigen).


Mit welchen Ansprüchen kommen jungen Menschen denn zu Arbeitgeber*innen?


Die sind digital großgeworden und deswegen gehören sie zu denjenigen, die sich flexible Arbeitsbedingungen sehr gut vorstellen können und wünschen. Viele von ihnen sind übrigens nicht etwa darauf aus, nur digital und nur von zu Hause aus zu arbeiten. Die möchten sehr gerne erstmal konkret in den Arbeitsplatz hineinkommen. Die arbeiten deswegen erstaunlich häufig, sehr gerne auch in Präsenz. Eine Chance für die Unternehmen, um sie an den Arbeitsplatz heranzuführen: Grundsätzlich haben die Angehörigen der jungen Generation aber deutlich andere Vorstellungen von der Arbeitswelt als vorherige. Junge Leute möchten sich im Beruf verwirklichen und persönlich ihre eigenen Neigungen und Interessen einbringen. Das ist eine sehr starke, immaterielle, ideelle Motivation. Das führt auch dazu, dass viele sehr schnell wechseln, wenn diese Vorstellungen nicht umgesetzt werden können. Viele Unternehmen spüren, dass junge Leute mit einer solchen starken Motivation kommen, dass sie eine sehr gute Arbeitsqualität haben, und Leben und Arbeiten auch nicht so ohne Weiteres miteinander verbinden wollen. Hier haben wir wirklich einen Quantensprung, eine deutliche Verschiebung zu andern Generationen. Dies wird auch von den jungen Frauen, die sehr hoch qualifiziert sind, vom Typus her sogar höher als die jungen Männer, stark mitgetragen. Junge Frauen wollen besonders intensiv berücksichtigt sehen, dass sie ein Privatleben haben. Sie denken mit, dass sie eine Familie gründen könnten und suchen auch nach diesem Gesichtspunkt ein Unternehmen aus. Also da kommen jetzt selbstbewusste junge Leute. Zudem hat die große Mehrheit auch eine gute Grundbildung. Über die Hälfte hat heute das Abitur. Sie spüren, dass der Markt sich dreht, dass sie die Akzente setzen können, dass sie ihre Vorstellungen umsetzen können, dass die Unternehmen auf sie mit ihren Vorstellungen zugehen. So gesehen stehen wir gerade inmitten einer kleinen oder mittleren, wenn nicht sogar großen Revolution der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsverhältnisse.


Wechseln wir mal in die Arbeitgeber*innenrolle. Was müssen Führungskräfte leisten?


Viele Unternehmen sind heute enttäuscht, dass die jungen Leute nicht genauso denken, handeln und motiviert sind wie die älteren Arbeitskräfte. Und sie lassen sie das manchmal dann auch spüren. Sie haben das Gefühl, hier kommen junge Leute mit Defizit, mit hohen Ansprüchen, mit sehr sensiblen Vorstellungen vom Beruf und wirklich etwas überzogenen Erwartungen. Da ist es eine Aufgabe von Führungskräften, hier deutlich die Weichen zu stellen. Der Arbeitsmarkt hat sich verändert. Ich muss heute auf die jungen Leute zugehen, muss mit ihnen in Verhandlungen eintreten, ihre individuellen Wünsche aufnehmen. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig. 20, 25 Jahre konnten sie diktieren, welche Bedingungen gelten, aber das hat sich verändert. Also individuelle Ansprache, die Rückmeldung geben, die jungen Leute abholen, wo sie stehen. Ihnen das Gefühl geben, dass sie mitbestimmen können, dass sie Einfluss nehmen können und zeigen, dass sie Bestandteil des Unternehmens sind, Identifikationsmöglichkeiten anbieten. Wir wissen aus den Erhebungen, Praxiseindrücke bestätigen das, dass junge Leute zögern, in den bisherigen Strukturen Karriere zu machen. Sie möchten auf Augenhöhe bleiben und aus der hierarchischen Musterung heraus. Führungskräfte müssen auf die besonderen Wünsche, die Eigenarten und Eigenwilligkeiten hören und ihnen Karrierepfade anbieten, die das berücksichtigen müssen.


Welche Branchen haben das schon für sich erkannt?


Branchen, in denen die digitale Kompetenz, digitale Unbefangenheit und Intuition von großer Bedeutung sind. Hier müssen unterschiedliche Vorstellungen verbunden werden. Die über 50-Jährigen haben ja ihre Stärken: sie sind die, die aushalten, die durchhalten können, die auch zu Ende arbeiten, denen es vielleicht nicht mehr viel Spaß macht, die auch nicht auf die Uhr schauen, die auch mal ihr Privatleben zurückstellen. Das ist natürlich für ein Unternehmen unbezahlbar, wenn in bestimmten Belastungssituationen die Belegschaft eine solche Mentalität hat. Das bringen die jungen Leute nicht mit. Im Gegenteil, die wollen das nicht. Aber sie bringen die Unbefangenheit im digitalen Bereich mit, die zu Ideen führen kann. Wie kann ich denn die lang anhaltenden, vielleicht eintönig gewordenen Arbeitsprozesse digitalisieren und mich damit entlasten und damit als arbeitender Mensch inhaltlich sinnvollere Dinge machen? Wenn man sich das vorstellt, dass man solche unterschiedlichen Auffassungen in einem Unternehmen miteinander verbindet, dann kann man erkennen, dass daraus dann natürlich für ein Unternehmen auch eine Gewinnsituation nicht nur ökonomisch, sondern eben auch für die Qualität der Zusammenarbeit entsteht.


Wenn wir uns in zehn Jahren wieder unterhalten – ich hoffe früher – woran merken wir dann, dass sich die Revolution, von der Sie oben sprachen, durchgesetzt hat?


Ich denke, es wird das weitergehen, was wir angesprochen haben. Je nach Branche sehr unterschiedliche Formen der Präsenz und digitale Kommunikationskanälen sowie ausgestattet Arbeitsformen und -Orte. Zudem stärker auf Teamstrukturen in einer dynamischen Form mit Projektaufgaben setzen. Und schließlich die großen Fragen: Wie flexibel sind wir? Wie lassen sich privates Leben mit der unternehmerischen Tätigkeit verbinden? Unternehmen, die familienfreundlich sind, werden überleben. Ein Unternehmen, was sagt wir freuen uns, wenn ihr Kinder bekommt, dass hat die Nase vorn und nicht das Unternehmen, was aufschreit und zur Seite tritt, wenn ein*e Mitarbeiter*in Mutter oder Vater wird.


Herr Professor Hurrelmann, Danke!


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