Dr. Christiane Fröhlich ist Friedensforscherin. Sie forscht im GIGA Institut Hamburg zu nachhaltigem Frieden, Sicherheit, Flucht und Klimawandel, insbesondere im Nahen Osten. Christiane Fröhlich hat die drängendsten Fragen von GENZ so kurz wie nötig beantwortet – damit du in der Zeitspanne von nur drei U-Bahn-Stationen Bescheid weißt.
Tomke für GENZ: Hallo Christiane, was reizt dich an deinem Forschungsfeld?
Christiane Fröhlich: Mich reizt daran, dass mein Forschungsfeld politisch sehr relevant ist und ich die Chance habe, an Fragestellungen zu arbeiten, die unser Leben auf diesem Planeten vielleicht irgendwie besser machen können, je nachdem, welche Antworten wir finden. Und mich reizt die Arbeit in der Wissenschaft, weil ich, einfach gesagt, eine neugierige Person bin und es toll finde, meine Zeit damit verbringen zu können, schwierige Fragestellungen von verschiedenen Seiten mit tollen Kollegen, die sehr klug sind, bearbeiten zu können.
Das Oberthema dieser GENZ-Ausgabe ist Einheit. Ist das ein Begriff, der in deiner Forschung eine Rolle spielt?
Meine Forschung findet fast ausschließlich auf Englisch statt. Das wäre jetzt der Begriff Unity oder vielleicht Community. Community ist extrem wichtig für die Produktion meiner Arbeit. Denn die Fragestellungen, die ich bearbeite, kann ich nicht allein bearbeiten. Wir müssen das gemeinsam machen, weil eine Person nicht alle Expertise haben kann, um diese Fragen zu beantworten. Einheit ist jetzt kein konkretes Forschungsfeld für mich, aber ich arbeite ja zu Klimawandel und Konflikten, Klimawandel und Migration, das ist eine globale Krise, mit der wir uns da beschäftigen. Und ohne Einheit oder ohne Gemeinsamkeit können wir die nicht sinnvoll und effektiv bearbeiten. Deswegen würde ich sagen, so gesehen ist es wahnsinnig zentral für meine Arbeit.
Basierend auf deinen Erfahrungen und Forschungen in diversen Konfliktregionen, insbesondere im Nahen Osten: Ist Frieden überall auf der Welt anders zu identifizieren oder woran kann man erkennen, dass Frieden herrscht?
Das ist eine große Frage. Ich würde antworten: Am Ende sind es alles Menschen, um die es da geht. Und klar haben wir kulturelle Unterschiede. Klar sind wir unterschiedlich sozialisiert. Wir starten von unterschiedlichen Punkten aus. Aber ich glaube, das, was Frieden für uns als Menschheit bedeutet, unterscheidet sich nicht maßgeblich in den unterschiedlichen Weltregionen. Also was ich aus meiner Forschung sagen kann, ist, dass alle ein gutes Leben führen möchten, wenn sie beschreiben, was Frieden ist oder was Frieden wäre. Und ich glaube, das wiederholt sich in allen Kontexten.
Wie dann dieses gute Leben aussieht, kann sich unterscheiden. Die allermeisten Menschen wünschen sich auf jeden Fall eine Leben ohne Gewalt.
Betrifft Frieden beziehungsweise die Abwesenheit davon alle Menschen gleich stark?
Da müssen wir ein bisschen fragen, was meinen wir mit Frieden. Wenn die Abwesenheit von Frieden Gewalt ist, wenn das Bomben sind, die fallen, dann betrifft das alle gleich stark. Das ist ein unmittelbarer Effekt, denn da macht es keinen Unterschied, welche Nationalität ich habe, wie viel Geld ich habe, wo ich wohne und so weiter. Wenn wir darüber sprechen, ein gutes Leben zu haben, dann ist das natürlich unterschiedlich.
Also wenn ich einer marginalisierten Gruppe angehöre, dann starte ich von einem ganzanderen Punkt, als wenn ich zu einer Elite in einer Gesellschaft gehöre. Das heißt, zentral ist dabei die Frage: Was heißt denn Frieden und was heißt Abwesenheit von Frieden?
Du bist unter anderem Sprecherin des Forschungsteams Institution für nachhaltigen Frieden. Wie kann nachhaltiger Frieden in Europa gelingen? Und wie kann der aussehen?
In der aktuellen Situation befinden wir uns in einer Krise des Multilateralismus; also in einer Phase, in der viele Staaten in Europa und in der ganzen Welt sich wieder stärker darauf besinnen, ihre nationalen Interessen durchzusetzen und weniger mit anderen Staaten zu kooperieren. Und ich würde sagen, das ist jedenfalls nicht der Weg, sondern Frieden zu erreichen ist eine gemeinsame Aufgabe. Das beginnt nicht und das hört nicht auf an nationalen Grenzen.Europa ist nicht mein Forschungsgebiet, aber auch das wiederholt sich auf der ganzen Welt. Das ist etwas, was wir gemeinsam anpacken müssen: ohne besondere Vorteile für meine eigene Nationalität heraushandeln zu wollen.
Du beschäftigst dich mit Frieden undSicherheit. Gibt es Sicherheit ohne Frieden oder Frieden ohne Sicherheit?
Wenn wir vom Krieg in Syrien sprechen, dann denken wir, dass in ganz Syrien überall der gleiche Krieg herrscht. Es hat aber während dieser gesamten fast 13 Jahre immer Gegenden gegeben, in denen es keine Bombenangriffe gegeben hat, in denen Menschen verhältnismäßig sicher leben konnten, weil sie vielleicht einer bestimmten Gruppe angehörten und nicht einer anderen. Das heißt, im Kleinen, glaube ich, gibt es Sicherheit auch in Nicht-Friedenszeiten. Das heißt nicht, dass Syrien automatisch sicher ist! Aber ideal wäre natürlich, wenn das für alle in gleicher Weise gelten könnte.
Welche Methoden und Ansätze verwendest du in der Forschung, um Konflikte zu analysieren?
Ich gehöre zu denen, die qualitativ arbeiten. Das heißt, ich führe viele Interviews. Ich mache das, was wir teilnehmende Beobachtungen nennen. Das heißt, ich bin tatsächlich im Gespräch mit Menschen, die zum Beispiel betroffen sind von Klimaeffekten, von Konflikt, von Flucht, von Migration, das ist meine Herangehensweise. Und ich arbeite in der Analyse dieser Daten, dieser qualitativen Daten gern diskursanalytisch. Das heißt, man schaut sich an, welche Narrative gibt es in den nationalen Diskursen, in diesen verschiedenen Diskurssträngen? Und da ist die wichtigste Idee, dass Sprache Realität formt. Ich glaube, in einer Minute kann ich wahrscheinlich nicht mehr dazu sagen.
Kann Frieden ewig sein?
Ich glaube, dass es zum menschlichen Dasein gehört, Konflikte zu erleben und lösen zu müssen. Und ich glaube nicht, dass das etwas Schlechtes ist, weil wir ohne Konflikte auch keine Entwicklung haben. Es gibt Konflikte, die wahnsinnig wichtig waren für die Gesellschaftsformen, die wir in Europa heute haben, die Französische Revolution und so weiter. Oder die Tatsache, dass die Nazis mit Waffengewalt besiegt wurden. Insofern würde ich sagen: Frieden ist ein ewiger Aushandlungsprozess. Wir müssen so miteinander kommunizieren und verhandeln, dass möglichst viele Plätze am Tisch möglichst divers besetzt sind.
Inwieweit sind Ressourcenkonflikte ein treibender Faktor für Konflikte in bestimmten Regionen der Welt?
Da müssen wir kurz darüber sprechen, welche Ressourcen es gibt: Es gibt natürliche Ressourcen, die irgendwann erschöpft sein werden, wie Öl zum Beispiel. Und es gibt Ressourcen wie Wasser, die sich im Idealfall selbst wieder erneuern. Dementsprechend verändern sich dann auch die Konfliktdynamiken. Tendenziell würde ich sagen, dass Konflikte in aller Regel von politischen Agenden, von politischen Zielen gesteuert werden und dass die natürlichen Ressourcen dann eher ein Instrument sind, um diese politischen Ziele weiterzuverfolgen. Es ist sehr selten, dass zum Beispiel nur um Wasser – Wasser ist das, womit ich mich am besten auskenne – ein Krieg oder ein Konflikt geführt wird.
Du blickst täglich auf große Herausforderungen. Wie verlierst du nicht den Mut bei deiner Arbeit?
Das bringt uns wieder zurück an den Anfang. Gemeinschaft, würde ich sagen. Ich habe tolle Kolleg:innen, die zu ähnlichen, ähnlich schwierigen Themen forschen, vielleicht in anderen Weltregionen. Und wir tauschen uns aus, wenn es nötig ist, und auch, wenn es nicht nötig ist. Dieses Gefühl, dass ich das nicht allein mache und nicht allein versuche, das ist das, was mich bei der Stange hält.
Vielen Dank, Christiane Fröhlich!
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