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Vom Bruch mit dem Brot

Abkehr der Generation Z von der christlichen Kirche.


„Immer weniger Menschen religiös”. Als diese Meldung der Tagesschau neulich in meinem Insta-Feed auftauchte, war ich wenig überrascht. In meinem doch sehr christlich geprägten Umfeld ist mir dieses Abwenden von der Kirche auch schon aufgefallen, besonders bei Gleichaltrigen. Die meisten meiner Freund:innen, die Konfirmation oder Kommunion gefeiert haben, waren seitdem kaum in der Kirche. Und auch wenn jede:r sich freut, wenn an Pfingsten alle frei haben, weiß eigentlich kaum jemand, was da eigentlich gefeiert werden soll. Erstaunlich ist diese Entwicklung, wenn man bedenkt, dass die aktive Teilhabe in der christlichen Gemeinschaft zur Zeit unserer Großeltern noch eine Selbstverständlichkeit war. Vor ca. 50 Jahren waren noch rund 90 % der Deutschen entweder katholisch oder evangelisch. 2022 sind inzwischen 43 % der in Deutschland Lebenden konfessionslos. Der evangelischen und der katholischen Kirche gehören heute nur noch 48 % an. 9 % sind Teil von nichtchristlichen Glaubensgemeinschaften und Frei- sowie orthodoxen Kirchen. Bald gibt es laut der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) mehr Konfessionslose in Deutschland als Kirchenmitglieder.1 Die christlichen Kirchen in Deutschland befinden sich in einer Krise und haben besonders mit einem schwindenden Vertrauen innerhalb der Gesellschaft zu kämpfen. Dies wird vor allem gegenüber der katholischen Kirche deutlich, der nur noch 9 % der Befragten Vertrauen geschenkt wird - auch verantwortet durch den Umgang mit Missbrauchsfällen. Bei der Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt an Kindern durch Amtsträger hat die katholische Kirche versagt. Besonders auffällig ist das Verschwinden der Generation Z aus den Kirchen. Dieser zunehmende Trend kann auch nicht ausschließlich mit dem demographischen Wandel begründet werden. Es ist ein Fakt, dass der christlichen Kirche die Generation Z wegbricht. Empirische Untersuchungen wie der Bertelsmann-Religionsmonitor 2023 bestätigen dies. Laut diesem sind 41 % der 16- bis 24-Jährigen fest entschlossen, die Kirche zu verlassen (evangelisch sowie katholisch). Und das, obwohl das grundsätzliche Interesse an Gott und dem Glauben weiterhin sehr hoch ist. In der Studie bejahen 51 % den Glauben an eine höhere Macht und 34 % auch den starken Glauben an einen per sönlichen Gott.2 Der Trend geht jedoch in die Richtung: Je jünger, desto weniger religiös praktizierend. Religiosität nimmt von Generation zu Generation ab. Andere Religionen in Deutschland haben nicht annähernd mit solch einem Mitgliederschwund zu kämpfen. Der Islam z. B. zählt in Deutschland weiterhin zu den wachsenden Religionen. Leider gibt es in den aktuellen Untersuchungen zur Religiosität in Deutschland wenig Informationen zum Aufbau und der Entwicklung nicht christlicher Religionen. Die aktuelle Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD trifft u. a. keine Aussagen zu nicht christlichen Religionsgemeinschaften, da zu wenige Personen in der Stichprobe enthalten sind. Daher blicke ich heute zunächst erstmal auf den christlichen Glauben.


Wie kommt’s, dass die Generation Z der christlichen Kirche wegbricht? Einer Institution, die einst wie selbstverständlich einen Platz in der deutschen Gesellschaft einnahm? Da das Thema Glaube einen höchst individuellen und persönlichen Charakter hat, wird sich auf diese Frage keine allgemeine Antwort finden lassen. Um trotzdem erste Anhaltspunkte herauszufinden, habe ich Jugendliche aus dem Umkreis Hamburg nach ihrer Es scheint, als sei der Generation Z die Kirche egal. Haltung zum Glauben und zur Institution Kirche (beides nach christlicher Glaubensauslegung) gefragt.


Die Gen Z lässt sich beim Thema Kirche nicht in einen Topf werfen.

Für Ephraim (20) ist der Glaube das Wichtigste auf der Welt. Er nimmt regelmäßig an Bibelstunden teil und ist auch im Lobpreisteam. Er fühlt sich stark mit der Kirche verbunden und unterstreicht, dass Kirche Gemeinschaft schafft und ermöglicht. Er betont: „Kirche ist nicht nur ein Gebäude, sondern alle anderen Teilbereiche, wie diakonische und therapeutische Arbeiten, die dazukommen“. Diese könnten laut ihm nicht ersetzt werden und würden ohne Kirche nicht mehr gesehen oder wahrgenommen werden. Auch Töni (21) sieht die Kirche als wichtige Säule unserer Gesellschaft. Die Daseinsberechtigung der Kirche ergebe sich durch ihre wahrgenommenen gesellschaftlichen Aufgaben: „Hospize, Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten und auch die Diakonie sind wichtige Pfeiler unserer Gesellschaft“. Jugendliche wie Jil (20) können diese Haltung zur Stellung der Kirche nicht teilen und lehnen sie ab. In ihrem Leben spielt der Glauben seit ihrer Konfirmation gar keine Rolle mehr. Sie sagt, die Institution Kirche sei schlecht und aus ihr wäre noch nie etwas Positives entstanden, wobei sie auf die Missbrauchsfälle und die schlechte Aufarbeitung dieser verweist. Für sie ersetzten heute andere Dinge die Kirche: Freundschaften und modernere Schutzräume erfüllen für sie persönlich die Funktionen der Kirche besser, da dort „von Anfang an Vertrauen und Schutz gegeben ist“. Mit dieser Ablehnung gegenüber der Kirche steht Jil nicht alleine da. Samiras (20) Haltung zur Kirche ist ebenfalls negativ, da sich die Kirche für sie oft durch Ausgrenzung auszeichnet, z. B. durch Hetze gegen Minderheiten wie Homosexuelle. Theo (20) hat sich ebenfalls von der Kirche distanziert. Die Antwort auf Probleme mit der Einstellung gemäß „Der (Gott) regelt das schon“ hat ihm nicht mehr gereicht. Jedoch verweist er auch darauf, dass in seinem Umfeld die Kirche vielen Menschen geholfen habe und er wisse nicht, ob die Leute es geschafft hätten, ohne durch das Kirchenumfeld gestützt zu werden. Eine starke Verbundenheit der Gen Z mit der Kirche scheint aber eine Seltenheit. Viele begegnen den Kirchen mit einer enormen Gleichgültigkeit, die ich selbst zu spüren bekommen habe, als ich meine einzelnen Befragungen durchführte. Viele junge Menschen haben schlichtweg gar keine Meinung mehr zur Kirche, tolerieren, aber ignorieren sie. Es scheint, als sei die Institution Kirche der Generation Z egal. Die Kirche verschwindet als Institution aus ihrem aktiven Bewusstsein. Dies wirft viele Fragen auf für die Zukunft der Kirche und welche gesellschaftliche Rolle sie noch einnehmen kann. Falls die Kirche mit mit dem Wandel gehen will oder sollte, ist es Zeit zu handeln.


Was jetzt?

Wenn die Kirche wieder an Bedeutung gewinnen möchte, muss sie reformbereit sein. In einer Zeit, in der Gleichberechtigung als wichtige gesellschaftliche Aufgabe gesehen wird, scheint es z. B. überholt, dass es in der katholischen Kirche nur männliche Priester gibt. Dass die Kirche sich grundlegend ändern muss, wenn sie eine Zukunft haben soll, finden auch 80 % der evangelischen und 96 % der katholischen Mitglieder. Ich finde: Kirche müsste offener gestaltet werden. Alle müssen mitreden dürfen, damit sie wieder ein sicherer Ort wird, besonders für Minderheiten, marginalisierte Gruppen oder Menschen verschiedenster Lebensrealitäten. Laut der EKD würden 66 % der befragten Personen in der Kirche bleiben, wenn dir Kirchen sich radikal reformieren würden.


Eine Reihe an Fragen

Aber soll sie sich überhaupt noch die Mühe machen, sich zu reformieren? Brauchen wir als Generation Z Kirche überhaupt noch? Besteht die Notwendigkeit solch einer Institution oder ersetzen heute andere Dinge das, was Kirche noch für unsere Großeltern, Eltern einmal war? Finden wir evtl. Gemeinschaft, Trost, Hoffnung, Sinn oder Zugehörigkeit heute in anderen Dingen? Vielleicht durch Vernetzung im Internet, in Jugendgruppen, in freiwilligem Engagement, Sport oder in der Natur? Was findet Gen Z sinnstiftend? Brechen wir der Kirche weg oder haben wir nie richtig zu ihr gehört? Oder brechen wir einfach aus gutem Grund weg, weil die Kirche als Institution nicht mit den Wertvorstellungen unserer Generation vereinbar ist? Können wir uns einfach nicht mehr mit der Kirche identifizieren? Ist die Zeit der Kirche einfach abgelaufen und muss sie Platz machen für neue Institutionen? Ist die Kirche in der Lage, sich so zu verändern, wie die Generation Z es vielleicht bräuchte, ohne sich dabei komplett zu verbiegen, indem sie z. B. digitaler wird oder Gottesdienste umdenkt? Vielleicht statt Lieder wie „Da berühren sich Himmel und Erde“ Lieder, die wir auch kennen und die mehr von uns berühren? Wie wäre es denn mit „Take Me to Church” von Hozier oder „Born This Way” von Lady Gaga? Würde sie bei einem solchen Wandel dann die älteren Generationen verlieren, die sich dann nicht mehr mit der Kirche identifizieren können? Wenn der Trend der Entkirchlichung weiter voranschreitet, kann es gut sein, dass die Kirchen bald leer sind. Und was wäre, wenn es keine Kirche mehr geben würde? Persönlich glaube ich, Menschen würden weiter an höhere Mächte glauben. Der Glaube wäre nur viel individueller und privatisierter. Vielleicht würden auch andere Religionen erstarken, wenn der christliche Glaube abnimmt. Ich denke, man wird andere Dinge als sinnstiftend empfinden, die nichts mit Religion zu tun haben. Schwieriger wird es bei der Frage, was mit den von der Kirche übernommenen ganz konkreten Aufgaben in unserer Gesellschaft passiert. Kirchliche Wohlfahrtsverbände betreiben nämlich auch Pflegehäuser, Krankenhäuser, Schulen und Kitas. Finanziert werden diese Einrichtungen durch Kirchensteuern. Können diese wegfallenden Kosten durch unsere Gesellschaft auch ohne die Kirche gedeckt werden? Wie kommt's, was jetzt und was dann? Die Entwicklung der Kirche wirft viele Fragen auf und wenig konkrete Antworten, außer: Kirche ist in einer Krise und verliert an Bedeutung in unserer Gesellschaft und besonders für die Generation Z. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die Kirche ein Update für jüngere Generationen schafft und sich nach innen sowie nach außen weiterentwickelt oder ausschließlich aus leerstehenden Gebäuden besteht.


Aber wie stehst du denn selber zur Kirche und zum Glauben? Erkennst du dich vielleicht auch in den hier befragten Personen wieder? Welche Reformen wünschst du dir? Schreibe uns an moin@genz-hamburg.de!

 

Illustration: Wolfgang Wiler

 

Quellen:

(1, 3, 5, 6) Evangelische Kirche in Deutschland, 2023: Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung 6, online, kmu.ekd.de [04.02.2024].

(2) Bertelsmann-Stiftung, 2023: Religionsmonitor, online, bertelsmann-stiftung.de [04.02.2024].

(4) Bundesministerium des Innern und für Heimat, 2020: Muslimisches Leben in Deutschland, online, bmi.bund.de [04.02.2024].

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