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Artificial Aufbruch?

In den letzten Monaten hat ChatGPT unseren Alltag ganz schön aufgemischt. Vom Planen des nächsten Städtetrips bis zur Gliederung für die Hausarbeit – der Chatbot ist bei vielen schon als Shortcut bei den Lesezeichen hinterlegt. Doch wie wird ChatGPT die Bildung verändern? Von neuen Unterrichtsinhalten bis zu Prüfungen wirft Tillmann einen Blick auf die Bildungslandschaft von morgen beziehungsweise heute ...


Die Zukunft ist nicht mehr das, was sie mal war. Während uns die Pandemie glauben machen konnte, dass die Zukunft der Bildung digital sein würde – abgekapselt und vor dem Bildschirm mit Zoom und Konsorten – hat sich im letzten Jahr ein neuer Hauptdarsteller in den Vordergrund gespielt, der von Bildungsjournalist:innen (ganz schüchtern) als Gamechanger gehandelt wird: ChatGPT. (1) Ob zum Planen von Städtetrips, für DateIdeen oder Kochrezepte, der berühmte Chatbot hält schon jetzt Einzug in das Leben von Millionen von Menschen und wird wohl auch vor dem Bildungsbereich keinen Halt machen. Und genau wie wir es zu WM-Zeiten mit 80 Millionen Bundestrainer:innen, zur Pandemie mit ebenso vielen Gesundheitsminister:innen und zu Hamburgischen Bürgerschaftswahlen mit knapp zwei Millionen Bürgermeister:innen zu tun haben, so begegnen uns heutzutage mindestens genauso viele Zukunftsexpert:innen, die uns erklären wollen, welchen Einfluss ChatGPT wohl auf die Zukunft (der Bildung) in Hamburg und Deutschland haben wird. Zugegeben, Prognosen sind ja bekanntermaßen immer schwierig (vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen) – und die Gefahr, dass man, ähnlich wie Menschen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Straßen voller fliegenden Autos vorgestellt haben, grandiose Fehlprognosen produziert, nicht ganz unbegründet. Und dennoch: Die große mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit macht einen Blick auf die möglichen Auswirkungen von ChatGPT im Bereich Bildung sinnvoll.


ChatGP…Hä? Was genau macht eigentlich ChatGPT?

Aber der Reihe nach. Bevor wir über seine Auswirkungen sprechen, ist es zuerst einmal hilfreich festzuhalten, was es mit ChatGPT überhaupt auf sich hat. Bei dem Chatbot handelt es sich um ein Computersystem, das mit Hilfe von künstlicher Intelligenz auf die Verarbeitung von sprachlichen Daten trainiert wurde. (2) Dadurch, dass das System besonders schnell und effizient die Sprache in mathematische Parameter umwandeln kann, wird es ChatGPT möglich gemacht, mit einer besonders großen Menge von Daten zu trainieren. Aus diesen Daten bildet der Chatbot im ersten Schritt seine Trainingsparameter. Im zweiten Schritt folgt der Feinschliff, in dem ChatGPT durch menschliches Feedback seine Aufgabe – Dialoge zu verschiedenen Themen zu führen – verbessert. Interessant wird es vor allem, wenn man bedenkt, dass es sich bei der großen Menge an Daten, die das System zum Trainieren nutzt, um von Menschen erzeugte Texte handelt. Dadurch kann ChatGPT in verschiedenen Sprachen Gedichte und Witze, aber eben auch ganze Essays, Erörterungen und Computerprogramme verfassen.


The future is now: Wie ChatGPT schon heute von Schüler:innen und Student:innen eingesetzt wird

Natürlich nutzen Schüler:innen und Student:innen den Chatbot schon längst nicht mehr nur für Städtetrips und Co. So hilft ChatGPT schon heute beim Paraphrasieren, bei der Suche nach Synonymen, beim Übersetzen und bei der stilistischen Korrektur (3), also Aufgaben, die schon vorher Google übernommen hatte. Der Chatbot wird aber auch genutzt, um den Lernstoff verständlicher zu machen, indem das System nach genaueren und detaillierteren Erklärungen gefragt wird. Besonders umstritten und damit wohl auch besonders ausschlaggebend für zukünftige Entwicklungen im Bildungsbereich ist, dass ChatGPT auch dafür eingesetzt wird, Schreibideen bereitzustellen und sogar ganze (Text-)Aufgaben zu übernehmen. Weder Feind noch Freund? Welchen Einfluss der Chatbot auf die Bildung der Zukunft haben wird Die Frage, wie und ob Lehrkräfte an Schulen und Universitäten auf diese Veränderungen reagieren sollten, wird schon jetzt heiß diskutiert. Viele Lehrende besuchen Fortbildung- und Informationsveranstaltungen. Und während sich Journalist:innen nicht einig werden, ob die Hausarbeit als Prüfungsleistung „gestorben“ (4) oder doch „lebendig“ (5) ist, besteht ChatGPT fröhlich standardisierte Prüfungen in Informatik, Rechtswissenschaft und Medizin. (6)


Wie also umgehen mit dem Alleskönner ChatGPT? Verbannen, inkludieren oder einfach ignorieren?

Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag (TAB) berät das deutsche Parlament und seine Ausschüsse zu Fragen des wissenschaftlich-technischen Wandels und hat zu diesen und ähnlichen Fragen im April 2023 ein Hintergrundpapier veröffentlicht. (7) Auf 114 Seiten diskutiert das TAB „Grundlagen, Anwendungspotenziale und mögliche Auswirkungen“ von ChatGPT und anderen Computermodellen. Besonders großes Veränderungspotenzial sieht das TAB dabei im Bereich des Unterrichtsinhaltes sowie im Ablauf und Inhalt von Prüfungen. Bezüglich des Unterrichtsinhaltes ist in Zukunft wohl in erster Linie damit zu rechnen, dass ChatGPT als Gegenstand der Medienkompetenz in den Unterricht aufgenommen wird. Lernende werden es hierbei mit neuem Lernstoff zu tun bekommen, der sich mit ChatGPT im Zusammenhang mit Recherchekompetenzen beschäftigt. Außerdem wird es darum gehen, zu lernen, die Ergebnisse und Funktionsweise des Systems zu bewerten und kritisch zu hinterfragen. Auch die richtige Wahl von Prompts (also Fragen oder Befehlen, die an ChatGPT gestellt werden), könnten ihren Platz im Unterricht der Zukunft finden. Der Unterricht der Zukunft wird sich aber wohl nicht nur über das Chatbot, sondern vor allem mit dem Chatbot austauschen. Die Universität Hamburg hat dazu einen Grundlagentext veröffentlicht, der unter anderem vorschlägt, ChatGPT verschiedene Textformate und Schreibstile verfassen zu lassen, um diese miteinander zu vergleichen oder Studierende mit dem System diskutieren zu lassen. (8) Aber nicht nur dem Unterrichtsinhalt wird ChatGPT seinen Stempel aufdrücken. Vor allem bezüglich Prüfungen wird es wohl zu einigen Veränderungen kommen. Das betrifft vorwiegend Studiengänge, in denen Texterzeugnisse (wie Hausarbeiten und Take-Home-Exams) eine wichtige Rolle spielen, da hier die größte Betrugsgefahr von der Nutzung von ChatGPT ausgeht. Weil die Erkennungsmöglichkeiten von mit ChatGPT geschriebenen Arbeiten begrenzt sind und Forscher:innen von einem Wettlauf zwischen KI-Modellen ausgehen, die künstliche Texte verfassen und erkennen, vermuten Expert:innen (9), dass sich die Art und Weise, wie Prüfungen abgehalten werden, verändern wird. Der Rückgang zu handschriftlichen Prüfungen oder sogar Onlineprüfungen mit Videobeaufsichtigungen werden zwar diskutiert, scheinen aber aus verschiedensten Gründen unwahrscheinlich. Realistisch hingegen sehen Expert:innen einen Wechsel hin zu anderen Prüfungsformaten, die den Chatbot als Hilfsmittel miteinbeziehen oder schriftlichen Aufgaben, bei denen ChatGPT nur begrenzt hilfreich ist, wie der Produktion von Grafiken, Audios und Videos oder von Lerntagebüchern mit Selbstreflexion. Bei Aufgaben, die dem Format der Hausarbeiten treu bleiben, gehen Expert:innen derweil von der Einführung einer möglichen mündlichen Zusatzprüfung aus. Welchen Einfluss die künstliche Intelligenz schon heute auf die Prüfungskultur an Hochschulen haben kann, zeigt das Beispiel der Prager Wirtschaftsuniversität: Ab dem Jahr 2024 können Studierende hier den Bachelortitel erhalten, ohne eine Bachelorarbeit zu schreiben. Zur Begründung heißt es, Künstliche Intelligenz sei in der Lage, ein solches Papier zu verfassen und die Universität wiederum nicht imstande, es von Menschen verfassten Texten zu unterscheiden. (10)

Auf noch längere (und optimistischere) Sicht spekulieren manche Forscher:innen der Universität Hamburg sogar, dass ChatGPT ein Anlass sein könnte, die gesamte Prüfungskultur zu verändern. Sie hoffen, dass durch den massiven Einschnitt, der mit dem Chatbot einhergehen könnte, die generelle Lehr- und Prüfungskultur an Hochschulen hinterfragt wird und angstfrei handelnde Studierende, von sich aus auf Täuschungen verzichten. Ob neue Unterrichtsinhalte, Prüfungsformen oder gar eine veränderte Prüfungskultur; eines scheint festzustehen: ChatGPT wird das Bildungssystem verändern. Ob diese Veränderungen so aussehen, wie von Expert:innen heute vermutet, oder ob man auf diese Spekulationen in Zukunft genauso zurückschauen wird, wie wir heute auf alte Vorstellungen von Straßen voller fliegender Autos, bleibt abzuwarten.

 

Quellen:

(1) Roth, M., 2023: ChatGPT: Wie ein KIWerkzeug Schule in Sachsen-Anhalt verändert, online, mdr.de [15.01.2024].

(2, 3, 6, 7, 9) Albrecht, S., 2023: ChatGPT und andere Computermodelle zur Sprachverarbeitung, online, bundestag.de [15.01.2024].

(4) Marche, S., 2022: The College Essay Is Dead, online, theatlantic.com [15.01.2024].

(5) Rim, C., 2022: The College Essay Is Still Very Much Alive, online, forbes.com [15.01.2024].

(8) Mohr, G. et. al., 2023: Übersicht zu ChatGPT im Kontext Hochschullehre, online, hul.uni-hamburg.de [15.01.2024].

(10) Schneibergová, M., Kropáčková, R., 2023: Bachelortitel für KI?, online, deutsch. radio.cz [15.01.2024

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