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Die Schönheit Hamburger Kanten – mit Hamburger Senator Carsten Brosda

Die Kulturtourismusstrategie von Hamburg wurde letzten Sommer (2022) vorgestellt und will beide Bereiche, Kultur und Tourismus, zusammen denken. Sie sollen sich gegenseitig und Hamburg als attraktiven und kulturellen Ort für Tourist:innen stärken. Wir fragen uns, welche Geschichte dabei von Hamburg erzählt werden soll? Wie wird unsere Stadt auf internationaler Bühne vermarktet? Und was verrät uns dies über unsere eigene Identität als Hamburger:innen? Selina hat dafür den Senator der Behörde für Kultur und Medien, Dr. Carsten Brosda, in seinem Büro besucht.


Selina mit Senator Brosda


Selina für GENZ: Wie würden Sie Hamburgs Kulturlandschaft in fünf Worten beschreiben?


Senator Brosda: Hamburgs Kulturlandschaft ist unglaublich reichhaltig, vielfältig, international, dynamisch und relevant.

Inwiefern finden sich diese fünf DNA-Bausteine in der Kulturtourismusstrategie wieder?


Da muss ich ein bisschen ausholen, weil wir die Kultur- und Tourismusstrategie ganz neu aufgesetzt haben. Auf der einen Seite gibt es schon eine lange Zusammenarbeit zwischen denjenigen, die den Tourismus in Hamburg organisieren und einigen Kultureinrichtungen, hier, insbesondere den Musicals, wegen denen seit Jahren viele Touristinnen und Touristen nach Hamburg kommen. Mit der Eröffnung der Elbphilharmonie hat sich die Wahrnehmung von Hamburg als Kulturstadt deutlich erweitert. Viele nehmen Hamburg von außen heute tatsächlich als eine Stadt wahr, in der es maßgeblich um Kultur in ihrer ganzen Vielfalt geht. Das ist ein Riesen-Mehrwert, weil Städtetourismus oft etwas mit den kulturellen Angeboten einer Stadt zu tun hat. Ausstellungen, Konzerte, Theaterstücke spielen eine große Rolle, wenn es um die Frage geht, wo man gern mal hinreisen möchte. Diese Reichhaltigkeit und die Vielfalt des Kulturlebens in einer Stadt wie Hamburg wollen wir deutlich machen. Damit können wir auch unterschiedliche Szenen und Zielgruppen ansprechen und sie ganz gezielt auf ein für sie passendes Angebot aufmerksam machen. Dabei ist wichtig, dass nichts strategisch herbei konstruiert wurde, sondern, dass alles in seiner Vielfalt hier in der Stadt auch tatsächlich stattfindet. Und zwar von einer solchen Relevanz und Qualität, dass man es auch über Hamburg hinaus wahrnehmen möchte und sollte. Aus diesem vielfältigen Angebot ergibt sich dann die Frage: Wie bringe ich eigentlich Menschen mit der Kultur dieser Stadt besser und intensiver in Berührung?


Wie sehen Sie die Verbindung zwischen Kultur und Tourismus in Hamburg?


Als etwas, was wir ausbauen können und wo wir gerade auch sehr intensiv daran sind, das auszubauen. Es gibt aber klare Gemeinsamkeiten: Wer Kultur anbietet, kümmert sich auch ums „Gastgeben“. Also jemand, der ein Theater betreibt, ist ein genauso guter Gastgeber wie ein Hotelier. Insofern gibt es da durchaus eine gemeinsame Haltung gegenüber dem Publikum, um das man sich kümmert. Das wollen wir zusammenbringen, zumal niemand nur wegen der touristischen Kernangebote in eine Stadt kommt. Ich fahre in der Regel nicht in eine Stadt, weil da ein Hotel ist, sondern ich übernachte im Hotel, weil ich wegen eines anderen Grundes in die Stadt komme. Alle, die im Tourismus unterwegs sind, wissen sehr genau, dass es andere Gründe braucht, in die Stadt zu kommen, damit ihre Angebote auch genutzt werden. Und das zusammenzubringen und dann auch gemeinsam zu überlegen, wie arbeiten wir nicht nur nebeneinander her, sondern wie arbeiten wir auch miteinander, das ist das, was sich gerade im Rahmen der Kultur- und Tourismusstrategie gut entwickelt. Was aber, und das ist mir wichtig, der Kunst jetzt nicht die Aufgabe zuweist, eine bestimmte Funktion zu erfüllen nach dem Muster „Mach mal was, damit Leute kommen“. Sondern wir sagen, dass das, was hier künstlerisch-kulturell passiert, aus sich heraus so attraktiv ist, dass Menschen hierherkommen wollen. Wenn jemand bspw. wegen der Elbphilharmonie kommt, dann kommt er oft nicht nur einen Abend, sondern bleibt vielleicht auch mit der Familie ein ganzes Wochenende da. Dann gilt es, die weiteren Angebote der Stadt transparent zu machen und zu zeigen, was noch zu diesem Erlebnis passt.


Es gibt ja durchaus einen wirtschaftlichen Fokus in der Kulturtourismusstrategie: Sie steht im Spannungsfeld zweier Institutionen. Der Hamburg Tourismus GmbH und der Behörde für Kultur und Medien. Welche nicht ökonomischen Vorteile bietet die Kulturtourismusstrategie?


Ich weiß gar nicht, ob ich das so genau trennen würde nach dem Muster, hier die Wirtschaft und da die Kultur, weil natürlich auch Kultureinrichtungen darauf aus sind, Einnahmen zu erzielen. Und wenn Touristinnen und Touristen in die Stadt kommen, ein Theater oder ein Museum besuchen, dann zahlen sie Eintritt und dann hilft das ökonomisch auch den Kultureinrichtungen. Darüber hinaus aber geht es auch um die Frage, wie wird Hamburg eigentlich wahrgenommen und welche Geschichten erzählen wir über Hamburg? Was wollen wir von uns als Stadt erzählen? Mit welchen Bedeutungen und Begriffen wird Hamburg assoziiert? In der Vergangenheit war Kultur nicht unbedingt ganz weit oben bei dem, was sich die Hamburger und Hamburgerinnen selbst über ihre Stadt erzählt haben. Da waren andere Sachen wichtiger: z. B. der Hafen, das Wasser und das Grün in der Stadt. Kultur kam mit den Musicals oder mit den Clubs auf der Reeperbahn – sonst aber kaum. Was bemerkenswert ist, wenn man sich anguckt, dass wir eines der bedeutendsten Opernhäuser Deutschlands in der Stadt haben, hier ganz viele hervorragende Sprechtheater in einer Dichte sind, die es kaum sonst irgendwo gibt und dann noch die vielen herausragenden Museen und vieles andere mehr hinzukommt. So richtig geändert hat sich die Wahrnehmung erst mit der Elbphilharmonie. Es gibt gerade eine neue Markenstudie, die zeigt, dass Kultur nun einen ganz anderen Stellenwert bekommen hat. Und das ist, wenn man so will, der stärkste nicht ökonomische Effekt, den wir an dieser Stelle haben. Dabei war Hamburg schon immer eine unfassbar vielfältige Kulturstadt: Die Beatles haben hier angefangen, Brahms ist hier geboren, Mahler hat hier gewirkt, Gustaf Gründgens am Schauspielhaus und viele, viele andere mehr, die man nennen könnte. Aber ganz weit oben stand bisher das Verständnis als Kaufmannstadt und der Fokus auf den Hafen, das verdeckte vieles andere. Jetzt fängt man an, diese Facette der Stadt neu zu erzählen und zu zeigen, wie lebenswert, attraktiv und kulturell gehaltvoll Hamburg eigentlich ist. Und das ist ein großer Wert auch für den Tourismus. Denn das beste Stadtmarketing sind nicht Anzeigen, die man schaltet, sondern begeisterte Besucherinnen und Besucher der Stadt, die woanders erzählen, wie toll das hier ist und wie gern sie wiederkommen würden. Da bietet die Kulturtourismusstrategie eine Menge Möglichkeiten.

Welche Vorteile hat dies auch für die Hamburger Stadtgesellschaft selbst?


Für die Hamburgerinnen und Hamburger hat das den Vorteil, dass auch sie selbst ihre Stadt anders wahrnehmen. Wenn man es mal leicht zugespitzt formuliert, haben die ja manchmal den Hang zu sagen „Eigentlich ist es schon ganz gut, wenn nur wir wissen, wie schön es hier ist“. Ich glaube, dass das falsch ist. Ich glaube, dass es schon durchaus hilft, das eigene Angebot auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt zu machen, weil dann auch Menschen kommen, die das eigene Angebot bereichern und befruchten und unsere Stadtgesellschaft vielfältiger machen. Dank der Elbphilharmonie ist auch bei den Hamburgerinnen und Hamburgern ein neues Bewusstsein für ihre Stadt als eine kulturell geprägte Stadt entstanden. Auf einmal kommen die Menschen von überall her und sagen „Wie toll ist das, dass ihr dieses Konzerthaus hier gebaut habt und was ihr noch für tolle Kultur hier habt“. Und dann merkt man selbst, ja, stimmt, ist eigentlich wirklich was Besonderes. Thalia Theater, Schauspielhaus, Staatsoper, Kampnagel und Ohnsorg Theater, Ernst Deutsch Theater, Kammerspiele ... Was für herausragende Häuser sind das? Da haben wir ja wirklich einen Schatz, der uns lange gar nicht so bewusst war. Und das zu verändern, glaube ich, verändert auch die Mentalität einer Stadt. Und in diesem Fall, weil es um Kultur geht, definitiv zum Positiven.

Was verrät die Kulturtourismusstrategie über Hamburgs Identität?

Ich glaube, da ist ein Senator der Falsche, der das sagen kann, weil Identität ja nichts ist, was man verordnet. Abgesehen davon, dass ich im Ruhrgebiet aufgewachsen bin. Es gibt aber eine hanseatische Zurückhaltung und die Kulturtourismusstrategie arbeitet auch daran, Mut zu machen, es mit dieser Zurückhaltung nicht zu sehr zu übertreiben. Das ist das Eine und das Zweite ist, dass Kultur anders als in vielen anderen Städten in Hamburg schon immer nichts ist, was von oben verordnet worden ist. Wir sind unter den großen kulturell relevanten Städten Europas die einzige, vielleicht neben Frankfurt, deren kulturelles Erbe nicht auf der früheren Herrschaft von Herzögen, Königen oder Bischöfen beruht, die Reichtümer angehäuft haben, und die Museen und Theater gebaut haben, um ihre eigene Macht zu demonstrieren. Und wir sind auch nicht Schaufenster einer Nation, weil wir nie eine Hauptstadt waren, die im Prinzip alles ausstellt, wofür ein Land sich selbst in seiner eigenen Identität sehen und rühmen lassen möchte. Die ganze kulturelle Infrastruktur Hamburgs ist entstanden, weil Bürgerinnen und Bürger gesagt haben „uns ist es wichtig, dass wir diese Angebote haben“. Und das ist schon ein anderer Geist, der dann durch solche Angebote weht, als es in alten Residenzstädten ist. Und das ist eine Dimension des kulturellen Lebens der Stadt, dieses republikanische, dieses bürgerschaftliche. Auch wenn es keine demokratischen Gründungen vor 350 Jahren waren, aber da steckt ein Impuls drin, der demokratisch anschlussfähig ist. Den zu nutzen und zu stärken – das kann eine Chance für die Geschichten sein, die wir über die Kultur dieser Stadt erzählen.

Und was tut die neue Kulturtourismusstrategie dafür, dieses Zusammenleben, dieses neue Stadtgefühl, dieses Gemeinschaftsgefühl der Hamburger:innen zu stärken?


Sie hilft dabei, dass die Angebote, die diesem Gefühl zugrunde liegen, wahrnehmbarer und sichtbarer werden. Sie hat nicht die Aufgabe, eine Stadtidentität neu zu formen. Das würde sie erstens überfordern. Zweitens würde ich auch ein dickes Fragezeichen an jeden Satz machen, der das fordern würde, weil ich nicht glaube, dass das unsere Aufgabe wäre. Uns geht es darum, Räume zu schaffen, in denen wir einander begegnen, um dann in Freiheit und Vielfalt zu diskutieren, wie wir denn eigentlich miteinander leben möchten. Und das sind die Angebote, die die Kultur einer Stadtgesellschaft macht. Und wenn an diesen Angeboten auch Menschen teilhaben, die von außen in die Stadt kommen, dann bereichert das diese Diskussion. Und da kann die Kultur- und Tourismusstrategie dabei helfen, dass es noch bunter wird, als es ohnehin schon ist.


Wie würden Sie sich denn wünschen, dass Tourist:innen in zehn Jahren auf Hamburg blicken?

Ich wünsche mir, dass viele Menschen in die Stadt kommen, die sagen „Ich möchte noch mal wiederkommen, weil ich das und das und das noch sehen wollte, was ich entdeckt habe und noch gar nicht gesehen habe“. Also, es ist wichtig, den Besucherinnen und Besuchern, wenn sie dann hier sind, klarzumachen, was sie hier alles noch entdecken können und dann fahren sie wieder mit dem Wunsch, wiederzukommen. Wenn uns das gelingt, dann haben wir eine ganz starke Spur gelegt.

Und wie würden Sie sich wünschen, dass Hamburger:innen selbst ihre Stadt wahrnehmen?

Auch so. Wobei ich dieses selbst von Hamburg erzählen als „schönster Stadt der Welt“ immer schon irgendwie merkwürdig fand. Dass man sich auf die Schönheit als eine Kategorie zurück bezieht. Natürlich hat Hamburg ganz tolle Blicke und wenn ich mit der Bahn nach Hamburg reinfahre und diese Silhouette vom Jungfernstieg sehe, dann ist das wirklich was Besonderes. Aber Hamburg erschöpft sich nicht darin, schön zu sein, sondern Hamburg ist so viel mehr. Hamburg hat so viele roughe und raue Ecken, hat so viele Kanten, an denen man hängen bleibt, so viele Veränderungen im Urbanen. Dieses Schöne hat ja immer die Gefahr, dass man sagt, „Ich bin jetzt zufrieden, so wie es ist, weil es ja schön ist“. Ich finde es ganz schlimm, wenn die Stadt sagt, ich bin zufrieden mit mir. Ich finde es immer spannender zu gucken, was verändert sich, wo wird es dynamisch und wo entsteht auch was Neues. Es gibt diesen schönen Satz über große Städte: „Eine Stadt, die niemals ist und immer wird.“ Das hat der Kunstkritiker Karl Scheffler in den 1920er-Jahren über Berlin geschrieben und das trifft auch auf Hamburg zu. Wenn man genauer hinschaut, sieht man, sie verändert sich eigentlich überall und ich hoffe insofern sehr, dass die Hamburgerinnen und Hamburger ihre Stadt nicht nur als den schönen Istzustand begreifen, sondern immer noch das Potenzial sehen, das man noch entwickeln kann, wo man noch was verändern und wo es noch besser werden kann. Wo das Bessere vielleicht auch gar nicht das Schönere ist, sondern auch der Kontrast zum Schönen. Da kann, glaube ich, Kunst gut bei helfen, wenn man sie in ihrer ganzen Spannungsvielfalt wahrnimmt.

Wie können junge Hamburger:innen einen Beitrag zur Kulturtourismusstrategie leisten? Was würden Sie sich von unserer Generation wünschen?


Es ist immer komisch, wenn ältere Männer sich was von jungen Leuten wünschen, aber ich kann zu etwas raten: Nutzt die kulturellen Angebote der Stadt. Es ist wirklich fundamental anders, mit anderen Leuten in einem Raum zu sitzen. Zu erleben, wie auf der Bühne was passiert, als allein vor dem Screen zu sitzen und sich das zu Hause anzugucken und im besten Fall dabei irgendwie auf dem Second Screen mit Freunden zu chatten. Es ist ein Unterschied, ob ich da in einem Raum sitze. Es wird dunkel und dann passiert da was auf der Bühne. Das muss man erleben. Und wenn man das erlebt, dann ist meine Erfahrung, ist man angefixt. Häufig fragt man sich vorher, „Ist das wirklich was für mich?“ Und da würde ich sagen, habt den Mut und macht das. Ihr werdet erfahren, wie großartig das ist. Und wenn ihr dann noch so angefixt davon seid, dass man Dritten davon erzählt, wie großartig das ist, dann ist das eigentlich das Beste, was mit Blick auf die Kulturtourismusstrategie passieren könnte. Weil Hamburg es verdient hat, dass wir gemeinsam mehr darüber sprechen, wie großartig das kulturelle Angebot dieser Stadt ist.

Vielen Dank, Senator Brosda!


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