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„Ich träume davon, dass ich eine Kitaleitung werde“ - Herausforderung: Arbeitsleben

Ein Interview zum Berufseinstieg aus intersektionaler Perspektive und ein Gespräch darüber, welche Herausforderungen das Arbeitsleben für eine Person mit Migrationskontext mitbringen kann.


Nour Basmaji (26) kennt das deutsche Ausbildungssystem und den Arbeitsmarkt aus vielfältigen Perspektiven: Als erfolgreiche Berufsschülerin, frische Fachkraft, junge Frau, Mutter, Muslima und Geflüchtete. Im Interview berichtet sie über ihre Erfahrungen, die Herausforderungen und Unterstützungsmöglichkeiten auf dem Weg ins Arbeitsleben.

 

Johanna für GENZ: Herzlichen Glückwunsch zur bestandenen Ausbildung! Magst du kurz etwas über dich und deinen Berufsabschluss erzählen?


Nour Basmaji: Ich bin Nour Basmaji, 26 Jahre alt. Ich habe in meinem Heimatland Syrien Biologie bis zum 3. Jahr studiert, aber das Studium musste ich leider abbrechen – wegen des Krieges. Dann bin ich nach Deutschland geflohen. Ich war ein Mal bei der Uni und habe gefragt, ob ich hier weiterstudieren kann. Meine Leistungsnachweise wurden leider nicht anerkannt, deswegen musste ich mir etwas anderes überlegen. Dadurch, dass ich zwei Kinder bekommen habe, hat es mich interessiert, dass ich mit Kindern arbeite. So habe ich mir den Beruf als Sozialpädagogische Assistentin ausgesucht und habe meine Ausbildung im Jahr 2020 angefangen. Am Anfang war das sehr schwierig für mich, eine ganz andere Sprache, ganz andere Umgebung, ein anderes System. Das war am Anfang sehr, sehr stressig und ich war überfordert. Danach habe ich mich daran gewöhnt, ich konnte mich richtig gut orientieren, in der Praxis, aber auch in der Schule. Zum Schluss habe ich die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und jetzt habe ich vor einer Woche mit der Arbeit angefangen.


Zu Beginn die Frage: Was denkst du, warum arbeiten wir? Was ist deine Haltung zu Arbeit?


Ich würde sagen, Arbeit ist Leben. Ohne Arbeit kann man nicht leben. Ich arbeite nicht nur, weil ich Geld verdienen will. Ich arbeite auch, weil es mir Spaß macht. Ich lerne viel daraus, bewege mich, ich fühle mich wohl, wenn ich arbeite.

Meiner Meinung nach sind das Lernen und die Arbeit eng miteinander verbunden. Wenn ich arbeite, ohne dass ich lerne, dann kann ich nicht arbeiten. Deshalb habe ich die Ausbildung gemacht. Stell dir vor, ich wäre zur Kita gegangen, ohne zu lernen, was ich dort machen soll. 2020 hatte ich erst mein FSJ angefangen und bin dort zur Kita gegangen. Ich habe natürlich unterstützt und gearbeitet, aber ich wusste nicht, was die Grundlagen für diesen Beruf waren. Zum Beispiel: Wie könnte ich mit Problemen umgehen? Wie soll ich mit den Kindern, die sich streiten, umgehen? Was sind Konflikte, wie soll ich mit Konflikten umgehen? Nach der Ausbildung bin ich viel sicherer geworden. Wenn ich jetzt arbeite, bin ich sicher: „Okay, ich habe das während meiner Ausbildung gelernt.“ Ich kann mich daran erinnern und dann verhalte ich mich richtig.

Und wenn ich lerne, ohne zu arbeiten, dann vergisst man viel und verliert viel – viel, was man gelernt hat. Man kann gar keine Erfahrung sammeln. Vielleicht verliert man sogar das Interesse an diesem Beruf.


Spannend! Das klingt, als ob die Einstellung und Offenheit für Neues eine große Rolle spielen. Aber auch, ob man überhaupt die Möglichkeit einer Ausbildung und eines passenden Arbeitsplatzes bekommt. Was hat dir geholfen, mit den Herausforderungen in deiner Ausbildung umzugehen?


Es hat mir gut geholfen, dass die Klassenlehrerin und auch die anderen Lehrer*innen Verständnis dafür hatten, dass ich nicht Muttersprachlerin bin. Und es hat mir auch gut geholfen, dass es Nachhilfe in der Schule gab. Außerdem gab es einen Antrag, der heißt Nachteilsausgleich. Den konnte ich beantragen, damit ich in den Prüfungen oder Klausuren mehr Zeit bekomme.


Gibt es etwas, worauf du in deiner Ausbildung besonders stolz bist?


Ich bin besonders stolz darauf, dass ich in Deutsch eine 2 hatte, obwohl sogar die Deutschen es nicht geschafft haben, in Deutsch eine 2 zu bekommen.


Wie ging es danach weiter, wie war die Jobsuche für dich?


Die Jobsuche für mich war interessant, aber auch aufregend. Es gibt tatsächlich viele Kita-Träger, die Unterschiede habe ich schon während der Ausbildung gelernt. Es hat auf jeden Fall Spaß gemacht, dass ich mal hier und mal da gucke.


In Deutschland herrscht in vielen Bereichen Fachkräftemangel. Aktuell fehlen im pädagogischen Bereich alleine 100.000 Erzieher*innen. Würdest du sagen, dass diese Situation Auswirkungen auf deine Jobsuche hatte?


Natürlich. Aber ich würde vor allem sagen, dass meine Noten, meine Zeugnisse eine Auswirkung darauf hatten, weil als ich mein Vorstellungsgespräch hatte, sagte die Kitaleitung, dass sie sich meine Noten durchgeschaut hat und sie sich sehr darüber freut.


Habt ihr in der Berufsschule mal über diesen Fachkräftemangel gesprochen?


Sehr selten. Ich glaube, nur ein Mal, weil wir in der Schule immer nicht so viel Zeit hatten. Meine Ausbildung hat nur zwei Jahre gedauert. Wir mussten oft viel Wichtigeres machen. Aber in der Praxis habe ich schon viel über das Thema Personalmangel mit meiner Anleiterin und den anderen Kolleg*innen gesprochen. Personalmangel heißt ja auch, dass die anderen Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen überfordert werden.


Um diesen Fachkräftemangel zu ändern, sollen in Deutschland eigentlich immer mehr Menschen dem Arbeitsmarkt immer länger zur Verfügung stehen, z. B. indem Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden, um hier zu arbeiten. Gleichzeitig machen viele Gruppen bei der Jobsuche immer wieder Diskriminierungserfahrungen: Ca. ein Drittel aller Anfragen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes werden im Bereich Arbeitsleben gestellt. Wie bewertest du den Zugang zum Arbeitsmarkt? Gab es vielleicht Dinge, über die du dir Sorgen gemacht hast?


Ganz ehrlich, ich habe mir Sorgen gemacht, dass ich nicht angenommen werde, weil ich ein Kopftuch trage. Wegen der Religion gibt es Diskriminierung, wegen der Herkunft auch. Aber zum Glück, als ich mich beworben habe, ist mir dieses Problem nicht begegnet. Also ich musste das nicht erleben. Ich kenne Diskriminierung eher im normalen Leben, im Alltag, z. B. mit einem Busfahrer. Er wollte mir mit Absicht nicht die Tür aufmachen, das war Diskriminierung. Ich war sehr enttäuscht, sehr traurig, dass es solche Menschen gibt. Ich habe aber von Klassenkamerad*innen gehört, dass sie auch bei der Arbeitssuche Probleme hatten.


Diskriminierung ist in Deutschland verboten, aber leider oft schwer nachzuweisen. Jetzt hast du einen Job gefunden und hast angefangen, dort zu arbeiten. Gab es eine Einführung dazu, was Beschwerdewege wären oder an wen du dich wenden könntest, wenn dir eine Diskriminierung passiert?


Wo ich jetzt arbeite, wurde mir dazu nichts gesagt. Nur die Kitaleitung hat erzählt, dass sie für uns zuständig ist, wenn irgendetwas passiert, und wenn wir Beschwerden haben, können wir zu ihr gehen.


Kennst du außerhalb der Kita Institutionen, an die du dich wenden könntest?


Nein.


Es gibt solche Beratungsstellen und es gibt sogar ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das in vielen Lebensbereichen, unter anderem auf dem Arbeitsmarkt, vor Diskriminierung schützen soll. Aber die scheinen so wenig bekannt zu sein, dass man als Arbeitnehmer*in oft gar nicht weiß: „Hey, das gibt es und darauf kann ich mich berufen!“ und „Da finde ich Unterstützung!“. Habt ihr in der Schule darüber gesprochen, an wen ihr euch wenden könnt, wenn ihr Unterstützung braucht, um gegen Diskriminierung vorzugehen?


Dazu wurde uns gar nichts gesagt.


Was hättest du dir für deinen Berufseinstieg sonst noch gewünscht? Gab es Wissen, was dir gefehlt hat?


Ich hätte mir gewünscht, dass von der Seite der Schule im letzten Semester ein bisschen mehr über die Arbeit erzählt wird und sie uns dabei helfen, wie wir eigentlich Arbeit finden und anfangen können, denn es gibt viele Kitas, die nicht so gerne Berufseinsteiger*innen annehmen. Und ich habe mir auch gewünscht, dass ich mit den Bewerbungsunterlagen klarkomme, weil ich mich gar nicht damit auskenne. In meinem Heimatland braucht man keine Bewerbung oder keinen Lebenslauf zu schreiben, wenn man sich eine Arbeit sucht.


Jetzt hast du es ja geschafft. Hast du einen Tipp für Berufseinsteiger*innen (mit Migrationskontext)?


Dass man geduldig bleibt, also nicht zu schnell aufgibt. Dass man richtig tief guckt: „Kann ich mich daran gewöhnen? Wird das mir gut passen? Kann ich mit diesem Team vielleicht gut arbeiten?“ Dass man sich immer selbst motiviert, indem man sagt: „Okay, das schaffe ich schon! Ich habe zwei Jahre geschafft, das werde ich auch schaffen! Alle Schwierigkeiten werden mit der Zeit auch weg sein.“


Das klingt, als sei Selbstvertrauen sehr wichtig. Du bist jetzt in kurzer Zeit von der Perspektive der Berufsschülerin und Auszubildenden in die Perspektive der ausgelernten Fachkraft gewechselt. Wie war dieser Rollenwechsel für dich?


Sehr schwierig. Am Anfang der Arbeit hatte ich immer gefragt: „Darf ich das machen, kann ich das machen?“ Oder: „Wohin muss ich gehen?“ Aber dann haben meine Kolleg*innen gesagt: „Du musst nicht immer fragen. Du bist selbst hier Fachkraft und du kannst selbst auch entscheiden, wohin du möchtest, was du machen möchtest.“ Noch bin ich daran gewöhnt, Azubi zu sein. Ich habe mich noch nicht ganz zurechtgefunden, aber das werde ich sicher machen und zurechtkommen. Es ist bis jetzt für mich ein bisschen anstrengend, dass ich mir alles merken muss und mich daran gewöhne, weil es ein ganz anderes System ist. Aber trotzdem interessiert es mich auch.


Wovon träumst du, wenn du an Arbeit denkst?


Ich würde mich gerne weiterbilden, also die Erzieher*innenausbildung weitermachen und dann ein Studium aussuchen. Ich träume davon, dass ich eine Kitaleitung werde, dass ich alle anderen Fachkräfte anleite, dass ich meine Kita verbessere, dass ich selber gucken kann, wo ich Menschen Möglichkeiten gebe, die ihnen richtig helfen können.


Vielen Dank für deine ausführlichen Antworten. Und natürlich ganz viel Erfolg in deinem Beruf!


Sehr gerne.

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