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AutorenbildKatinka Paul

Sollen Influencer:innen eine Meinung haben?

Sie haben es nicht leicht, diese Influencer:innen. Sprechen sie trotz riesiger Follower:innenzahl wichtige Themen nicht an, wirft man ihnen vor, sie würden ihre Reichweite nicht ordentlich nutzen. Teilen sie, was ihnen am Herzen liegt, sind sie plötzlich schuld an politischer Beeinflussung und vielleicht sogar an Desinformation. Und was stimmt jetzt? Sollten Influencer:innen sich politisch äußern dürfen? Dazu habe ich mit Prof. Dr. Amelie Duckwitz und Philipp Lorenz-Spreen gesprochen.


Prof. Dr. Amelie Duckwitz (Zitate in Blau markiert) ist Professorin für Medien und Webwissenschaft an der Technischen Hochschule Köln, wo sie zu Influencer-Kommunikation forscht. Philipp Lorenz-Spreen (Zitate in Gelb markiert) forscht ebenfalls, und zwar als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin zu den Dynamiken im Online-Diskurs.


Die beiden habe ich also eingeladen, über die Frage nachzudenken, ich habe eine Diskussion eingeleitet und gewartet, bis die differenzierten und faktenbasierten Antworten aus ihren Mündern auf meinen Notizblock hüpften. Mit Entsetzen musste ich allerdings bald feststellen, dass das Wort „Influencer“ gänzlich zurückgelassen wurde und die Konversation sich in eine grundlegende Auseinandersetzung bezüglich der modernen Kommunikation entwickelte. Das lag allerdings nicht an etwaigen Mängeln der Debattierkünste meiner Gesprächspartner:innen, nein – ich hatte einfach eine ziemlich blöde Frage gestellt.


Die Frage ist tatsächlich interessant und gar nicht mal so einfach. „Sollten Influencer:innen sich politisch äußern?“, ist trotz der zugrundeliegenden berechtigten Befürchtungen – Beeinflussung, Verlust journalistischer Standards, Echokammern  (dazu später mehr) – nämlich kaum sinnvoll beantwortbar. Die genauere Betrachtung der Frage verrät einiges darüber, was im heutigen Diskurs über soziale Medien schiefläuft – und wie es besser geht.


Was erwartet euch also in diesem seltsamen Text, der über eine Frage eingeleitet wird, die direkt kritisiert wird? Warum streiche ich die dann nicht einfach raus? Nun, weil viele von euch sie wahrscheinlich so ähnlich gestellt hätten und sie uns zu erkennen geben wird, dass soziologische und politische Fragen häufig größer sind als ursprünglich angenommen. Sie wird uns zeigen, wie schnell man in eine Grundsatzdiskussion abrutscht und welche Schlüsse wir daraus ziehen können. „Sollten Influencer:innen sich politisch äußern?“ ist kaum sinnvoll beantwortbar, denn:


1. Die Frage hat keine Grenzen

Um eine Frage auszudiskutieren, müssen stets zuerst ihre zentralen Begriffe definiert werden. Das sind in diesem Fall „Influencer:innen“ und „politische Kommunikation“. Und schon hier tut sich das erste Problem auf:

„Influencer sind Menschen, die es geschafft haben, durch User-generated content auf Social-Media-Plattformen und durch das regelmäßige Posten dieser Inhalte eine relevante Community aufzubauen, und das Potenzial haben, diese in ihrem Wissen, Einstellungen oder Verhalten zu beeinflussen. […] Als politische Kommunikation kann man das bezeichnen, was sich auf das Zusammenleben in einer öffentlichen Ordnung bezieht.“ – Also quasi auf alles.


„Ich glaube, wir würden einen Fehler machen, wenn wir denken, dass erstmal harmlos wirkende Inhalte immer gleich total unpolitisch sind. Oft höre ich, dass so etwas wie TikTok […] eher unpolitisch sei, weil die Leute dort hauptsächlich über ihr Leben berichten. Aber da werden ganz oft Werte transportiert, wenn es zum Beispiel um Rollenbilder geht. […] Selbst beim Essen kann es politisch werden. […] Alles, was unsere Normen, unsere Werte, unser Zusammenleben betrifft, ist für mich politisch.“


Was wir daraus lesen können, ist, dass die Begriffe „Influencer“ und „politische Kommunikation“ sehr weit gefasst werden können. Alles, was wir im öffentlichen Raum tun, was wir hören, kaufen, hinterfragen oder teilen, ist politisch, und zwar unabhängig davon, wie viele Follower:innen wir haben. Dass diese Begriffe also sehr groß und offen gehalten werden, ist in dem Gebiet, in dem wir uns bewegen, sinnvoll und wichtig, weil wir sonst sehr viel Relevantes übersehen würden. Es heißt aber gleichzeitig auch, dass meine anfangs gestellte Frage unter Berücksichtigung dieser Definition ebenso viel heißt wie: „Sollte irgendwer sich irgendwie online äußern dürfen?“ Das Diskutieren darüber bedeutet im Prinzip also das Argumentieren für und gegen die Nutzung von sozialen Medien und von Meinungsfreiheit. Dieses Sammeln von Pro- und Kontra-Argumenten wird in der Schule oft fleißig betrieben, um zu einem einfachen Fazit zu gelangen, aber: …


2. (Nur) Pro-Kontra ist nicht immer angemessen

Wir werden aus gutem Grund dazu erzogen, alles von zwei Seiten zu beleuchten. Es fördert unser kritisches Denken und befähigt uns, informierte Entscheidungen zu treffen. Allerdings vergessen wir dabei manchmal, dass eine Abwägung von Pro- und Kontra-Argumenten nicht immer das Ende, sondern je nach Streitfrage lediglich die Basis einer Diskussion darstellen sollte. Sollten wir also Pro- und Kontra-Argumente sammeln, wer wie in sozialen Netzwerken kommunizieren darf?


„Es ist eine soziale Tatsache, dass wir das Social Web haben und dass darüber kommuniziert wird. […] Deshalb ist es nicht unbedingt zielführend, Chancen und Risiken abzuwägen. […] Wir müssen erst einmal akzeptieren, dass es so ist.“


„Manchmal habe ich das Gefühl, wir führen diese Debatte über das neue Ding ‚Social Media‘ […], als wäre das etwas, das wir wieder abschalten könnten […]. Das ist schon ein bisschen mehr. Es ist wirklich eine neue Art, wie die Gesellschaft vernetzt ist und wie der öffentliche Diskurs funktioniert. Und da finde ich, sollten wir viel mehr Gestaltungsfragen in den Vordergrund rücken und nicht immer nur die Frage ‚Ist das jetzt gut oder schlecht?‘ “


Der Diskurs über soziale Medien in der Pro-Kontra-Form impliziert, dass wir uns entscheiden könnten, ob wir sie behalten wollen oder wer seine Meinung sagen darf. Aber so funktioniert das online und in einer Demokratie erst recht nicht. Soziale Medien sowie die freie Meinungsäußerung gehören fest zu unserer gesellschaftlichen Kommunikation und zu den Grundrechten. Natürlich ist es wichtig, über Pro- und Kontra-Argumente sowie Chancen und Risiken von sozialen Netzwerken Bescheid zu wissen – vor allem deshalb, weil sie wegweisend für die Gestaltung sind: Chancen zeigen uns, was wir mit unseren Ideen fördern und wie wir Kommunikation ermöglichen wollen; Risiken, was wir beheben müssen. An dieser Stelle reiht sich fast unscheinbar ein zentrales Problem ein: Wir wissen gar nicht so gut über diese Chancen und Risiken Bescheid.


3. Die empirische Datenlage ist sehr schlecht

Wir gehen also noch einmal einen Schritt zurück, nämlich zu den wichtigsten Elementen einer Diskussionsgrundlage: den Daten und Fakten. Denn die brauchen wir auch heute wieder, um angemessen über die Gestaltungsmöglichkeiten der sozialen Medien im Interesse unserer Demokratie sprechen zu können.


„Die empirische Datenlage zur politischen Beeinflussung ist sehr schlecht, weil sie schwer messbar ist. Das war schon immer so. Wir haben eine stark personalisierte Mediennutzung, und Menschen sind kaum in der Lage, valide Aussagen darüber zu treffen, was sie wann gesehen oder gehört haben und wie und was sie beeinflusst hat.“


Klar – wir haben ein Bild davon, was potenziell gut und schlecht auf den sozialen Medien läuft: Einerseits bieten sie unglaubliche Partizipationsmöglichkeiten, großes kreatives Potenzial und riesige Vernetzungsmöglichkeiten. Andererseits bringen sie zum Beispiel (politische) Beeinflussung und den Verlust journalistischer Standards mit sich, die für Daten, Fakten sowie kritisches Denken und Entscheiden essenziell sind. Aber diese Größen sind nur schwer messbar.


„Es ist schwierig, weil die Plattformen ihre Algorithmen nicht offenlegen. […] Dass die Wissenschaft das nicht nachvollziehen kann, liegt auch daran, dass wir gar nicht an die Daten kommen.“


Und nun?

„Das Problem, dass wir die Algorithmen nicht durchblicken, müssen wir erst einmal lösen. Ob wir das in Zukunft schaffen werden, bleibt abzuwarten, denn das Argument des Geschäftsgeheimnisses nutzen Unternehmen. […] Es besteht mittlerweile ein sehr berechtigtes öffentliches Interesse daran, wie diese Plattformen funktionieren, auf denen wir einen großen Teil unserer Politik und unserer öffentlichen Diskussion führen. Eigentlich ist es sogar unsere Verantwortung als Gesellschaft, das besser zu verstehen. Es ist schon ein bisschen verrückt, dass wir das bis jetzt nicht getan haben.“


Wir sollten also beim Verständnis der Social-Media-Plattformen ansetzen, um Aufschluss über das Ausmaß der Beeinflussung und anderer Phänomene zu erhalten. Wenn wir das verstanden haben, müssen wir uns nicht zurückziehen und weise den Kopf über die Geschehnisse hin und her wiegen. Wenn wir verstanden haben, können wir kreativ werden – und handeln.


Dabei spielen die Plattformen eine Schlüsselrolle: Sie haben die Daten, die die Forschung benötigt, und sie steuern die Algorithmen, die entscheidend dafür sind, wie die Gesellschaft die Kommunikationsmöglichkeiten ihrer Plattformen nutzt und in welche Richtung sie sich dadurch entwickelt. Gegenwärtig gehört (zumindest in Deutschland) beides noch den Plattformen selbst. Sie sind weder verpflichtet, im großen Stil Daten offenzulegen, noch hat der Staat bei der Gestaltung der Algorithmen seine Finger tief im Spiel. Das ist gut für die Unternehmen und weniger gut für eine demokratische Gesellschaft. Denn die Gefahren, die von sozialen Medien ausgehen, sind häufig Gefahren für unsere Demokratie, seien es Falschinformationen oder die Bildung von Echokammern. Gerade weil wir eine Demokratie sind, können wir als Gesellschaft entscheiden, ob es so weitergehen soll. Es muss nicht so bleiben, wie es ist – denn wir dürfen mitentscheiden. Von den technischen Grundlagen bis zum Design können und sollten wir uns fragen, wie unsere Plattformen demokratiefördernd statt demokratiehinderlich sein können. Dafür ist gerade ein guter Zeitpunkt, denn einiges kommt langsam in Bewegung. Im Text von Nuria auf Seite 30 erfährst du zum Beispiel mehr über aktuelle rechtliche Anpassungen von sozialen Netzwerken.


Wir müssen – wie so oft – im Diskurs bleiben. Und dafür müssen wir Bescheid wissen. Eine kleine Zusammenfassung hilft:


Die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft vernetzt ist und kommuniziert, hat sich durch die sozialen Medien verändert; und so auch die Art, wie wir uns politisch äußern und positionieren. Botschaften können von überall aus große Gruppen erreichen und Werte transportieren, die unser Zusammenleben beeinflussen. Wie genau diese Botschaften sich verbreiten und auswirken, gilt es noch zu erforschen. Dafür braucht es einen Wandel darin, wie wir mit Plattformen kooperieren – denn erstens sind sie Eigentümer der Daten, die für die entsprechende Forschung interessant sind, und zweitens steuern sie mit ihren Algorithmen, wie Inhalte verbreitet werden. Dabei verfolgen sie finanzielle Ziele, die unter Umständen dafür sorgen, dass der Onlinediskurs nicht im Interesse unserer Demokratie abläuft. Diese benötigt nämlich eine vielfältige Medienlandschaft, die auf journalistischen Standards wie dem Angeben von Quellen oder dem Aufzeigen mehrerer Perspektiven basiert. Doch die sozialen Medien sind „keine Naturgewalt“, die über uns gekommen ist, sondern etwas, das wir als Gesellschaft steuern können. Deshalb liegt es an uns, sie in unserem Interesse zu gestalten - ganz unabhängig davon, ob wir Influencer:innen sind oder nicht.


Jetzt sind wir an der Reihe. Jetzt ist Nachdenken und Diskutieren angesagt: Nicht mehr über das Ob, sondern über das Wie der Nutzung müssen wird uns austauschen. Vieles um uns herum ist viel biegsamer, als wir manchmal sehen können. Wir sind die Menschen, die Gesellschaft, die Nutzer; das ist unser Medium! Lasst uns noch mehr daraus machen, mutig über bestehende (Internet-)Strukturen nachdenken und unsere Demokratie um kollektive Intelligenz, Teilhabe, Themenvielfalt und Kreativität bereichern.


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Primärquelle: Interview mit Prof. Dr. Amelie Duckwitz und Philipp Lorenz-Spreen


(1) ARD-Forschungsdienst (2019): Auswirkungen von Echokammern auf den Prozess der Meinungsbildung. ARD Media Perspektiven. Februar 2019. Online unter: ard-media.de, letzter Aufruf: 30.08.2024

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