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unartig sein für Einheit

Bist du oft in Harburg? Dem Stadtteil südlich der Elbe? Wenn Hamburger:innen nördlich der Elbe unterwegs sind und preisgeben, dass sie in Harburg wohnen, da scherzen die meisten: „Alles südlich der Elbe ist Ausland.“ Erst letzte Woche nahm ich den Spruch mit Humor, als zwei gebürtige Hamburger in der S-Bahn heraushörten, dass ich in Harburg wohne und ursprünglich aus Süddeutschland komme. Der Spruch sitzt hartnäckig in den Köpfen. Selbst auf der Website des Hamburger Tourismus findet sich der Spruch leicht abgewandelt: „Alles südlich der Elbe ist Norditalien.“ (1)


Die Hamburger:innen lieben ihre Stadt und vielleicht wird deshalb gescherzt, dass es südlich der Elbe nichts Besseres zu bieten gibt. Die meisten wissen, dass das nicht stimmt, und nehmen sich vermutlich selbst auf den Arm, weil sie Hamburg so selten verlassen. Dabei wird Hamburg gar nicht verlassen, wenn man Harburg erfahren möchte, denn schon seit 1938 gehört Harburg zu Hamburg. Doch warum hält sich der Spruch im Jahre 2023, 85 Jahre später, dann noch bei vielen Menschen? Trennt die Elbe Harburg so sehr vom restlichen Hamburg ab? Was hat Harburg zu bieten? Wie ist eine Einheit von nördlich und südlich der Elbe möglich?


Harburg wird nicht nur gegensätzlich zum restlichen, nördlich der Elbe liegenden Hamburg wahrgenommen, sondern auch innerhalb Harburgs. Es ist bekannt für sein „Brennpunktviertel“, das Phoenix-Viertel, aber auch für die Studierenden und Wissenschaftler:innen an der Technischen Universität Hamburg (TUHH). Harburg ist bekannt für die historischen Gebäude im Gründerzeitstil, aber auch den Harburger Hafen mit dem großen, modernen Stadtentwicklungsgebiet „Channel Hamburg“, das der HafenCity ähnelt. Nur wenige Straßen voneinander entfernt liegen städtische Einkaufszentren und der naturbelassene Stadtpark am Außenmühlenteich. Es treffen verschiedene Welten aufeinander, was für viel Lebendigkeit und Vielfalt sorgt. Auch die Kultur ist vielfältig. Es gibt Museen, wie die Sammlung

Falckenberg und das Archäologische Museum. Für Musik ist das „Stellwerk“ im alten Bahnhofsgelände oder das Kulturcafé „Komm du“ beliebt. Weitere Kulturangebote finden sich im Harburger Theater oder im Kultur Palast Rieckhoffstraße. Außerdem gibt es die Möglichkeit, selbst künstlerisch tätig zu werden und in den Austausch mit anderen Menschen im Stadtteil zu kommen. Dafür sind das „Habibi-Atelier“ in den Harburger Arcaden und das Stadtteilatelier „Kulturwohnzimmer“ im Gloria-Tunnel bedeutend. Mit der blühenden Kultur kann Harburg also allemal mithalten. Dennoch wird Harburg häufig wenig Aufmerksamkeit geschenkt, denn es steht längst nicht so im Rampenlicht, wie die HafenCity, Altona oder die Sternschanze. Im Vergleich zwischen den Stadtteilen lässt sich feststellen, dass in Harburg überdurchschnittlich viele Menschen mit geringem Einkommen wohnen. Im19. Jahrhundert war Harburg ein Industriestandort, der viele Arbeiter:innen in die riesigen Fabriken gezogen hat. Bis heute prägen die Fabriken und die dazugehörigen Wohnviertel das Bild des Stadtteils.(2)

Bei einer Bevölkerung von 26.248 Menschen haben 42,1 % der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Auch in der jungen Generation mit 4.215 in Harburg lebenden unter 18-Jährigen zeigt sich, dass 82,3 % einen Migrationshintergrund haben (Stand: 2021).(3) In Harburg ist es deshalb normal, eine große Vielfalt an Kulturen vorzufinden. Das spiegelt sich auch in den Supermärkten wider. Nirgends habe ich so ein Spektrum an Angeboten erlebt, wie hier. Und überall bin ich willkommen, weshalb ich den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Harburg als groß wahrnehme.

Der Gedanke von mehr Zusammenhalt, mehr Einheit, ist auch mit dem restlichen Hamburg wünschenswert, sodass solche Sprüche wie „Alles südlich der Elbe ist Norditalien“ nicht weiterhin so oft fallen. Harburg und seine Vielfalt gehören zu Hamburg dazu. Also heißen wir Harburg als Teil von Hamburg willkommen, erkunden ihn, feiern ihn, leben ihn. Dabei können wir die Elbe nicht nur als Trennung verstehen, sondern als ein Fluss, eine (Wasser-)Straße, die uns verbindet, die uns eint. Dieses Verständnis von Einheit ist wünschenswert und kann durch Begegnung und Austausch gefördert werden. Die Verbindung zwischen den Menschen, die nördlich und südlich der Elbe leben, kann dabei auch von den jungen Generationen gestaltet und gelebt werden. Dafür ist es wichtig, jungen Menschen Gehör zu schenken und mit ihnen in den Dialog zu treten. Wir, aus der jungen Generation, zeigen andere Perspektiven auf und haben neue, vielleicht ungewöhnliche oder sogar unartige Ideen, die jedoch Potenzial für Veränderung und damit auch für Einheit haben können. Deshalb: Unartig sein!


Die unartig.harburg ist „ein Magazin von jungen Menschen für alle, die sich jung fühlen“, organisiert und umgesetzt vom Kulturwohnzimmer e. V. Es gibt Generation Z und Alpha aus Harburg die Möglichkeit, Themen anzusprechen, zu diskutieren und in Kontakt zu treten; untereinander, aber auch mit dem Stadtteil. Das Magazin versucht damit, alte Klischees loszulassen, Tabuthemen zu brechen, neugierig zu machen und weltoffen zu sein. unartig.harburg möchte die Meinung junger Menschen aus und um Harburg fördern und den gesellschaftlichen Diskurs bereichern. Hier findet man kreative Beiträge und Diskussionen, die den Austausch und das Verständnis zwischen verschiedenen Gruppen fördern. Außerdem ist es eine Spielwiese und ein Sprachrohr für alle, die sich bisher noch nicht ans kreative Schreiben gewagt haben. Neben Poesie können ebenfalls Bilder, Fotografien oder auch Illustrationen eingesendet oder gemeinsam erarbeitet werden. Das Magazin ist ein intermediales und partizipatives Format. Die Autor:innen und Künstler:innen, die an der Entstehung der bisher drei Ausgaben von unartig.harburg beteiligt waren, sind ebenso divers wie die Themen, über die sie schreiben.


Und Diversität ist genau das, was unartig.harburg feiern möchte. Sprüche, wie „alles südlich der Elbe sei doch Norditalien“, sind dann vielleicht nicht mehr so schlimm, wenn sich der Stadtteil seiner Qualitäten innerhalb dieser Vielfalt bewusst ist und diese mit Stolz tragen kann. Das wiederum ist einfacher, wenn Harburgs Qualitäten auch innerhalb der Hamburgischen Kultur mehr gesehen, toleriert und gefördert werden. Das unartig.harburg Zine möchte den Wandel zur Einheit begleiten und die jungen Generationen unterstützen. Das Magazin sieht das Anders- und Unartig-Sein, das Fern-Sein von gesellschaftlichen Normen als einen Grund zum Feiern.


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Seit Beginn des Projekts wird unartig.harburg von den „Lokalen Partnerschaften für Demokratie Harburg“, einem Projekt des Bezirksamtes Harburg, im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“, gefördert. Solche Fördermöglichkeiten sind eine Chance, um gemeinnützige Projekte umsetzen zu können, sind aber zeitlich begrenzt. Um weitere Ausgaben realisieren zu können, freut sich das Projekt daher über diverse Unterstützung; für die kommende Ausgabe werden z. B. noch begeisterte Autor:innen miteinem Bezug zu Harburg gesucht. Mehr Informationen findest du auf Instagram(@unartig.harburg) oder unter www.kulturwohnzimmer.de/unartigharburg.de


Gastbeitrag geschrieben von: Teresa Mohr von unartig.harburg

Illustration von: Wolfgang Wiler


Quellen:

(1) Hamburg Tourismus, 2023: Hamburger Weisheiten, online hamburg-tourism. de [20.06.2023].

(2) Hamburg, 2019: Harburg: Wissens-und Sehenswertes, online hamburg.de [20.06.2023].

(3) Statistikamt Nord, 2019: Hamburger Stadtteilprofile, online statistik-nord.de [20.06.2023].


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