Wie geht's euch, Landwirt*innen?
- Levin Petersen
- 20. Juni 2022
- 4 Min. Lesezeit
Mit dem Thema Ernährung werden wir jeden Tag konfrontiert. Essen ist schließlich ein Grundbedürfnis. Doch bevor Nahrungsmittel im Supermarktregal oder der Gastronomie landen, müssen sie erzeugt werden. Aller Ursprung ist die Landwirtschaft. Wie ist es um Ackerbau und Viehzucht bestellt? Wir haben mit Landwirten und Großstadtbewohner*innen über den Zustand der Landwirtschaft gesprochen.
Auf dem Tisch in der WG-Küche steht eine große Rührschüssel. „Oh Gott“, entfährt es Elena, während sie ein Ei aufschlägt und es schwungvoll in die Muffin-Backmischung gibt. „Da habe ich echt gar keine Ahnung.“ Ihr Mitbewohner, der vorhin mit Kugelschreiber, Notizblock und Aufnahmegerät in die Küche kam, hat die Frage gestellt: „Wie geht es den Landwirt*innen?“ Sie überlegt und sagt: „Ich könnte mir vorstellen, dass sie eher unzufrieden sind. Vielleicht wegen der Auswirkungen des Klimawandels.“
Ihr Mitbewohner versucht gerade ein Interview zu führen. Noch schnell, bevor Elena, die gerade ihr Abitur bestanden hat, übermorgen für ein halbes Jahr ins Ausland fliegt. Hektik in der WG und keine Zeit für ein ruhiges Interview. Dann eben während des Muffin-Backens. Zwischendurch knattert der Mixer, Teigspritzer fliegen und Backbleche scheppern. Mit den Muffins will Elena morgen noch ein letztes Mal auf den Reiterhof, auf dem sie, seit sie klein ist, mehrmals die Woche ihrem Hobby nachgeht. Sie möchte dort Dankeschön sagen. Durch das Hobby ist Elena schon mehr mit der Landwirtschaft in Kontakt gekommen als andere Großstadtbewohner*innen. Dem besagten Reiterhof ist ein Rindermastbetrieb angeschlossen. Die Rinder laufen auf großen Weiden, die Kälber bleiben bei den Mutterkühen und die Tiere werden regional geschlachtet. So sehe für sie ein gutes Kuh-Leben aus, sagt Elena. Auf einem anderen Reiterhof sah sie, dass die neugeborenen Kälber kurz nach der Geburt von der Mutter getrennt und separat aufgezogen wurden. Das fand sie nicht gut.
Hundertvierzig Kilometer nördlich der WG, auf der Nordseeinsel Pellworm, steht Jan Gonne (26) vor seinem Hofladen. Er ist Landwirt. Zusammen mit der gesamten Familie betreibt er einen ökologischen Rindermast- und Ackerbaubetrieb.
Fragt man Jan Gonne, welche gesellschaftliche Position die Landwirt*innen haben, sagt er: „Viele Leute, die gar nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben, halten es für sehr selbstverständlich, immer Essen auf dem Teller zu haben.“ Da fehle manchmal ein Stück Wertschätzung.
Welche Auswirkungen hat das? „Wir haben in Deutschland hohe Qualitätsstandards. Das hilft aber nicht weiter, wenn trotzdem zum billigeren Fleisch oder der billigeren Milch aus dem Ausland gegriffen wird.“ Man müsse die Konsumierenden erreichen. „Es ist total wichtig, den Verbraucher*innen zu vermitteln, dass der Kauf regionaler Produkte besonders ausschlaggebend ist.“ Da sei die Frage, ob konventionell oder bio, zweitrangig. „Lebensmittel produzieren!“, sagt Jan Gonne, wäre seine Motivation für diesen Beruf. „Und es ist einfach cool, die eigenen Produkte zu vermarkten.“ Er sagt es mit Überzeugung. „Wenn ich in meinen Laden schaue, dann sehe ich das Fleisch und das Mehl aus eigener Erzeugung. In beides habe ich viel Arbeit gesteckt.“ Und im Hofladen könne er seine Produkte zu den Preisen anbieten, die sie wirklich wert seien.
Karol (23) aus Berlin macht gerade ein Architekturstudium in Hamburg. Wenn er vor dem Lebensmittelregal im Supermarkt steht, dann würde er sich schon Gedanken über die Herkunft der Produkte machen. Es wären auch Medienberichte gewesen, die dazu geführt hätten, dass er heute bewusster einkauft. „Ich habe immer diese eine Apfelsorte gekauft. Doch dann habe ich einen Artikel gelesen und erfahren, dass bei genau dieser Apfelsorte viele Pestizide eingesetzt werden.“ Seitdem isst er andere Äpfel. Karol erzählt aber auch, dass der Preis ihn manchmal daran hindere, zu den Produkten zu greifen, die er gerne hätte.
Tim (20) ist Landwirt auf derselben Nordseeinsel wie Jan Gonne. Anders als Jan Gonne betreiben Tim und sein Vater einen konventionellen Hof mit Rindermast und Kälberaufzucht. Momentan geht Tim auf eine Landwirtschaftsschule in Rendsburg. Nach seiner dreijährigen Ausbildung zum Landwirt und einem Praxisjahr setzt er dort noch einen drauf: Staatlich geprüfter Wirtschafter des Landbaus. Für den Schulbesuch lebt er auf dem Festland. Nach der Schule arbeitet er am Nachmittag bei einem Milchviehbetrieb in der Nähe von Rendsburg. Wenn er am Wochenende oder in den Ferien nach Hause auf den Hof seines Vaters kommt, dann arbeitet er auch dort. Tim sagt: „Mein Hobby ist mein Beruf.“ Und es ist seine Leidenschaft, das spürt man. „Ein Thema, das mich sehr viel beschäftigt, ist das schlechte Ansehen der Landwirtschaft, und wie ich‘s besser machen könnte,“ sagt Tim. Als konventioneller Landwirt werde er teilweise pauschal als Tierquäler und Umweltverschmutzer abgestempelt. Dabei gehe vieles von der Komplexität des Themas verloren.
Das zeigt sich beispielsweise an den Ställen, in denen die Tiere gehalten werden. Diese sind auf eine bestimmte Haltungsweise und Tieranzahl ausgelegt. Viele Verbraucher*innen wünschen sich mehr Tierwohl. „Wir möchten auch mit der Zeit gehen“, meint Tim. Das ginge aber nicht wie auf Knopfdruck. Für verbesserte Haltungsweisen müssen die Ställe oft um- oder neugebaut werden. In der Regel planen Landwirt*innen rund 20-25 Jahre ein, um einen Stallneubau abzubezahlen. Solche langjährigen Abhängigkeiten sind ein Grund dafür, dass Landwirt*innen nicht immer kurzfristig und flexibel auf Wünsche und Vorgaben aus Politik, Handel und von den Verbraucher*innen reagieren können.
Dass die Landwirt*innen eine unverzichtbar wichtige Aufgabe haben, in dem Punkt sind sich alle interviewten Städter*innen einig. Auf der anderen Seite sehen sich die Landwirte in einer teilweise sehr schwierigen Lage, mit einigen großen Herausforderungen für die berufliche Zukunft.
Was der mit Kugelschreiber, Notizblock und Aufnahmegerät ausgerüstete WG-Mitbewohner euch zum Schluss noch mitgeben möchte: Das nächste Mal, wenn ihr einen Bericht über Landwirtschaft lest oder wenn ihr in der WG-Küche über das Thema diskutiert, dann versucht mal zwischen diesen drei Bereichen zu differenzieren:
Produktion: Welche Tierhaltungs- und Anbauweisen haben sich in Deutschland etabliert? Welche soll es in Zukunft geben?
Landwirte: Wie geht es den Landwirt*innen? Welche Strukturen soll es in Zukunft geben? Industrielle Betriebe? Familienbetriebe?
Landwirtschaftspolitik: Welche Rolle spielt die Politik? Welche Rahmenbedingungen für Landwirt*innen, Handel und Verbraucher*innen sollen geschaffen werden?
Michel, der dritte junge Landwirt, mit dem ich auf Pellworm gesprochen habe, antwortet bei der Frage, ob er abschließend noch eine Botschaft an die Hamburger Jugend habe: „Ja. Sich einfach für das Thema interessieren“, damit könnte man schon Großes bewegen. „Oder sprecht mal mit einem Landwirt oder einer Landwirtin.“
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